Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: Voller Mund verspricht zu gern

Wuppertal · Es ist vorbei. Die Wahlkampfschlachten sind geschlagen. Die Wahl ist vollzogen. Der Souverän hat seine Arbeit getan und schaut nun zu, was aus seinem Willen wird.

Dr. Werner Kleine, Pastoralreferent Werner Kleine vor dem großen Bildschirm mit Pfarrbüro24.de

Foto: Fischer, Andreas H503840

Das Volk wolle dieses oder jenes und man würde doch nur das tun, was die Mehrheit sage. Zumindest hätten Umfragen dieses oder jenes ergeben. Vor allem die Frage der Migration wurde zur Mutter aller Probleme erkoren. Und so hat man das Volk umworben, ihm scheinbar aufs Maul geschaut und dabei nur allzu oft das zutage gefördert, was man ihm zuvor in den Mund gelegt hat.

Ist die Migration wirklich die Mutter aller Probleme? Werden die Brücken wieder in Stand gesetzt sein, wenn man den „Zustrom“ begrenzt? Werden die Menschen wieder bezahlbare Wohnungen haben? Wird man sich dann endlich wieder auf den Fahrplan der Deutschen Bahn verlassen können? Begegnet man dem erstarkenden linken, rechten und islamistischen Antisemitismus mit einer klaren Haltung? Wohl kaum! In der gegenwärtigen Diskussion wird ein Scheinriese aufgebaut, der Herrn Turtur aus Michael Endes Jim-Knopf-Erzählung alle Ehre macht.

Tatsächlich hält die Gegenwart zahlreiche Herausforderungen bereit. Wenn – wie in der vor Kurzem in Wuppertal bei der Konferenz des Stadtdekanates geschehen – Krankenhäuser in kirchlicher Trägerschaft davon berichten, dass sie Pflegekräfte in Kenia, den Philippinen oder der Ukraine anwerben müssten, weil der personelle Notstand sonst kaum auszugleichen ist; und wenn der Geschäftsführer eben dieses Krankenhauses berichtet, dass es viel zu lange dauert, bis etwa syrische Ärzte die Anerkennung ihrer Ausbildung erhielten, damit sie endlich hier in Deutschland ihren Beruf ausüben können, sie zuvor aber noch nicht einmal ein Pflaster verabreichen dürfen, dann wird die Mutter aller Probleme sichtbar: Es ist eine überbordende Bürokratie und eine verengte Sicht auf die Migration, die auf einer spontanen Empörung basiert: Wer würde angesichts der Taten von Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg und München unberührt bleiben! Fraglich ist allerdings, ob solche Taten durch ein „Zustrombegrenzungsgesetz“ verhindert worden wären. Eher ist zu fragen, warum die Überwachung der schon zuvor auffälligen Täter nicht konsequent umgesetzt wurde. Personal, das zur Sicherung der Außengrenzen eingesetzt wird, fehlt in der Sicherung des Inneren.

Bereits in meiner letzten Kolumne habe ich auf die Bedeutung hingewiesen, die die Art und Formulierung der Frage bei Umfragen hat. Umfragen sind manipulativ. Man legt dem Volk etwas in den Mund und tut dann so, als habe man ihm aufs Maul geschaut. So kann man sich leicht echauffieren und den eigenen Mund voll nehmen – vor allem, wenn man die manipulativen Umfragedesigns zum Kriterium dafür macht, man würde ja nur den Willen des Souveräns vollziehen. Der aber sieht die Wirtschaft als noch drängenderes Problem an – zumindest laut einschlägiger Umfragen, die nach den wirklich drängenden Problemen gefragt haben, die die Menschen beschäftigen. Die aber war im Wahlkampf kaum Thema.

Stattdessen hat man das Migrationsthema emotionalisiert. Man tut so, als könne man es einfach lösen, indem man die Grenzen dicht macht und Abschiebungen intensiviert. Wie das gehen soll, ob das mit europäischem Recht und dem eigenen Grundgesetz vereinbar ist und wie viel das den Souverän kosten wird, wird nicht thematisiert. Wussten Sie, dass Abschiebehaft, Charter und Personal pro Abschiebung mindestens 30 000 Euro, oft aber auch sechsstellige Euro-Beträge betragen? Die Kosten müssen zwar die Betroffenen tragen, der Staat aber geht in Vorleistung. Wie will er sie sich nach erfolgter Abschiebung zurückholen? Der Steuerzahler trägt also die Kosten. Was würde eine Umfrage wohl erbringen, wenn die Frage lautet: Sind sie bereit, als Steuerzahler die Kosten für die Rückführung zu tragen? Fragen über Fragen!

Viele, die im Wahlkampf den Mund vollgenommen haben, werden kleinlaut Kompromisse schließen müssen. Unsere Verfassung mag keinen Extremismus. Der gemäßigte Geist des Grundgesetzes hat dem Land über 75 Jahre gut getan. Politik ist kein Karneval, bei dem man am Aschermittwoch feststellt, dass allen Versprechen, Schwüren und Bekundungen nur ein Kater folgt. Die Demokratie lebt von Vertrauen, Versprechen gelten. Ein Ja sollte ein Ja sein und ein Nein ein Nein. Was waren das für Zeiten, als das gesprochene Wort noch galt! Was aber soll der Souverän von Maulhelden halten, die nicht halten werden, was sie einst versprachen – egal, welche politischen Farben sie tragen … Was glauben Sie denn?