Konzert Matthäus-Passion mit vielen Schwächen
Viel Applaus für die Instrumentalisten und Solisten der Aufführung in der Stadthalle.
Nach fast dreieinhalb Stunden gab es im zum Schluss nicht mehr vollen Großen Saal der Stadthalle begeisterte stehende Ovationen. Die können aber bestimmt nicht an den Dirigenten Gerrit Prießnitz gerichtet gewesen sein. Sie galten wohl mehr allen Instrumentalisten und Sänger, die sich mächtig ins Zeug legten und passend zu Karfreitag Johann Sebastian Bachs „Matthäus-Passion“ (BWV 244) aufführten.
Vieles nicht gerade Positives war während dieses abendfüllenden Werks unüberseh- und hörbar, in dessen Verlauf bereits während der Pause Besucher den Ort des Geschehens verließen. Zunächst fiel auf, dass das geteilte Sinfonieorchester Wuppertal mit jeweils acht ersten Geigen bis hin zu zwei Kontrabässen doppelt so groß als schicklich Aufstellung nahm. Das führte unweigerlich dazu, dass feine Nuancen hinsichtlich Akzenten, Phrasierungen und Ausdruck nicht dargestellt werden konnten. Das führte dazu, dass jeder Abschnitt gleich klang. Auch war das Zusammenspiel der beiden Gruppen nicht immer harmonisch, da sie aufgrund ihres Umfangs zu weit auseinandersaßen.
Tempi an vielen Stellen
zu langsam gewählt
An etlichen Stellen waren die Tempi zu langsam gewählt. So dauerte die Aufführung rund eine halbe Stunde länger als gewohnt. Trotzdem schleppte im Gegensatz zum Konzertchor der Volksbühne (Einstudierung: Thorsten Pech) der Chor der Konzertgesellschaft (Einstudierung: Georg Leisse) auffallend. Beide Vokalensembles und die glänzend disponierte Elberfelder Mädchenkurrende (Einstudierung: Angelika Küpper) im ersten der beiden Teile überzeugten aber trotz mancher falscher Einsätze seitens des Dirigenten, die er ferner hin und wieder einfach nicht gab, mit sehr emotionalen Gesängen. Es fiel nur auf, dass der Konzertgesellschaftschor künftig noch intensiver an Stimmbildung und Intonation feilen könnte.
Außerdem war die Auswahl der Soloinstrumente bei den Arien nicht konsequent. Warum wurden neben der barocken Gambe nur moderne Instrumente benutzt? Hätten nicht stattdessen etwa eine historische Oboe d’amore, Traversflöten, Blockflöten oder eine Laute erklingen sollen? Zweifel an einer historisch informierten Aufführungspraxis lagen auf der Hand.
Dennoch gestalteten die Instrumentalsolisten ihre anspruchsvollen Abschnitte ergreifend schön. Nur: Zwar kamen aus der Geige des Konzertmeisters Nikolai Mintchev bei der Arie „Erbarme dich mein Gott“ sehr schöne Töne. Doch waren sie zu romantisch gehalten ohne einen Bezug zu einer barocken Auffassung.
Die Continuogruppe spielte exzellent auf. Man fragte sich nur, warum ihr Prießnitz über Gebühr Anweisungen gab, statt, wie bei Barockmusik en vogue, sich ruhig zu verhalten.
Die gesangssolistische Hauptrolle oblag Tenor Ulrich Cordes als Erzähler. Seine Stimme war angemessen narrativ, aber viel zu weinerlich und mit Problemen im hohen Register. Sebastian Campiones Bass hörte sich nicht hundertprozentig ausgewogen an, und er sang ein wenig blass.
Der Sopran von Dorothea Brandt war dagegen wesentlich harmonischer, aber den Partien gemäß nicht ausdrucksstark genug. Mehr zu Herzen ging die Melodiegestaltung von Catriona Morison. Einen allen Belangen überzeugenden Jesus gab Bassbariton Matthias Hoffmann ab. Seine leidenschaftlichen, die Rolle mustergültig ausfüllenden Gesänge ließen keine Wünsche offen.
Übrig bleibt eine Redewendung, die nach dieser knapp einem Desaster entgangenen Darbietung, automatisch im Kopf herumgeisterte: „Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute ist so nah?“ Denn in Wuppertal gibt es Kirchenmusiker, die diese Musik um Längen besser hätten aufführen können: Thorsten Pech etwa, der nicht nur einmal am Dirigentenpult des städtischen Orchesters stand, ist ein bekanntlich versierter Barock-Kenner.