Gesellschaft „Menschenleben sind wichtiger als Quoten“

Die evangelische Kirche setzt ein Zeichen für Solidarität in der Flüchtlingspolitik. Von der Stadt fordert sie eine bessere Zusammenarbeit.

Für ein toleranteres Miteinander (v.l.): Martin Hamburger (Direktor der Diakonie Wuppertal), Ilka Federschmidt (Superintendentin der Evangelischen Kirche in Wuppertal) und Mirjam Michalski (Geschäftsführerin der Diakonie Wuppertal - Sozialen Teilhabe gGmbH). Foto: Andreas Fischer

Foto: Fischer, Andreas (f22)

Auf dem Gebiet der Flüchtlingshilfe sind der Kirchenkreis Wuppertal und die Diakonie absolute Vorreiter. Seit mehr als drei Jahrzehnten engagieren sie sich in der Arbeit für Schutzsuchende. „Wir sehen uns als Anwälte für die Rechte und Bedürfnisse von Flüchtlingen“, sagt Superintendentin Ilka Federschmidt. Gemeinsam mit Diakoniedirektor Martin Hamburger und der Geschäftsführerin der „Diakonie - Soziale Teilhabe“ Mirjam Michalski möchte sie im Namen des Evangelischen Kirchenkreises ein Signal setzen, sich in der aktuellen Debatte zur bundesdeutschen und europäischen Flüchtlingspolitik wieder auf das zurückzubesinnen, um was es ursprünglich mal ging: Schutzsuchenden zu helfen und sie aufzunehmen.

Seit Beginn der Flüchtlingskrise im Sommer 2015 unterstützen hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeiter von Kirche und Diakonie Flüchtlinge und Migranten mit Beratungsgesprächen. Der Schwerpunkt liegt dabei neben der rechtlichen Beratung in der Unterstützung traumatisierter Flüchtlinge. Die Unterstützung in der Gesellschaft sei dabei stets groß gewesen, erzählt Ilka Federschmidt. Inzwischen merke man aber eine besorgniserregende Veränderung der Stimmung in der Gesellschaft.

Mitarbeiter der Kirche werden wegen ihrer Arbeit bedroht

Die aktuellsten Vorfälle in Chemnitz seien keine Einzelfälle. „Wir sehen uns mit zunehmender Hetze konfrontiert - in zweierlei Hinsicht“, sagt Ilka Federschmidt. Zu der zunehmenden Beschleunigung der Asylverfahren, die eine intensive Betreuung und Unterstützung für Flüchtlinge durch Kirche und Diakonie nur schwer möglich mache, komme die Hetze in der Sprache. „Unsere Mitarbeiter im Kirchenkreis sehen sich tagtäglich mit Beleidigungen und Drohnachrichten konfrontiert“, erzählt Ilka Federschmidt.

Martin Hamburger fordert insbesondere die Wuppertaler Politik auf, wieder enger mit der Diakonie zu kooperieren. „2015 herrschte ein eindeutiger Konsens, dass wir Schutzsuchende, die zu uns kommen, aufnehmen und unterstützen“, sagt der Diakoniedirektor. Mit Politikern von CDU und SPD habe man vor einiger Zeit noch an einer Kundgebung gegen eine Demonstration von Rechten teilgenommen. Auch mit der Ausländerbehörde habe man gut zusammengearbeitet. „Aufgrund finanzieller Angelegenheiten wird diese anfängliche Solidarität und Hilfsbereitschaft nun relativiert“, bedauert Martin Hamburger.

So habe die Diakonie sich an die Stadt gewandt und Oberbürgermeister Andreas Mucke aufgefordert, sich an einer Initiative der Oberbürgermeister von Köln, Düsseldorf und Bonn zu beteiligen. Diese hatten im vergangenen Juli in einem offenen Schreiben an Kanzlerin Angela Merkel angeboten, in Seenot geratene Flüchtlinge aufzunehmen. Dieses Anliegen wurde allerdings abgelehnt. „Es wurde argumentiert, Wuppertal habe ja bereits mehr Flüchtlinge aufgenommen, als die Stadt gemusst hätte“, erzählt Martin Hamburger. Für die Politik stehe meistens im Vordergrund, Grenzen zu setzen, bedauert er: „Quoten für die Aufnahme von Flüchtlingen und finanzielle Fragen sollten zweitrangig sein gegenüber der Solidarität mit Flüchtlingen. Menschenleben sind wichtiger als Quoten.“

Zu der schwindenden Unterstützung kommen weitere Hürden im Bereich des Kirchenasyls, das auch die evangelische Kirche in Wuppertal in Ausnahmefällen gewährt. „Die aktuellen Gesetzesänderungen erschweren uns die Arbeit enorm“, sagt Mirjam Michalski. „Man hat das Gefühl, dass die Politik mit immer härteren Restriktionen die Vergabe von Kirchenasyl gänzlich verhindern will.“ Daher sei der Appell von Kirche und Diakonie nicht auf Wuppertal beschränkt. „Wir wollen bundesweit ein Zeichen setzen für die Solidarität mit Flüchtlingen und Schutzsuchenden.“