Mit 70 nochmal in den Hörsaal
Karl-Hermann Siebel begann mit 67 Jahren ein Studium und feiert in diesem Jahr den Abschluss in Philosophie und Soziologie.
Wuppertal. Manchmal steht er in der Vorlesung dann doch auf. „Kinners“, sagt er salopp, „soll ich mal erzählen, wie das früher war?“ Und die Studenten nicken, denn Karl-Herman Siebel ist einer von ihnen, ein Student der Bergischen Universität. Aber ein Student mit Altersvorteil. Er ist 70 Jahre alt und hat gerade sein Studium der Philosophie und Soziologe mit der „2“ abgeschlossen.
Siebel wohnt in Wermelskirchen, nun hat er Zeit für ein Treffen in der Uni Kneipe. Er hat sich in einen bequemen Sessel gelümmelt, es gibt Cola light und ein breites Grinsen. 70 Jahre alt sei er, behauptet er. Der Student wirkt deutlich jünger und ist noch höchstaktiv. Damals, als er nach der Schule hätte studieren können, war einfach nicht die richtige Zeit - Nachkriegsgeneration halt. Also ist er in die Versicherungsbranche gegangen, hat zuletzt lange in der Verkaufsförderung gearbeitet. Als er dann in Rente ging („Und ich hab deutlich länger gearbeitet als ich gemusst hätte“) stand dem Studium endlich nichts mehr im Wege. Philosophie sollte es sein, das hat ihn damals schon gereizt.
Das „Studium im Alter“ ist genau die richtige Möglichkeit gewesen, er kann wirklich fürs Leben lernen, ohne Druck, eine gute Grundlage für das Arbeitsleben zu schaffen. Obwohl das Studium schon anstrengend war. „Fragen Sie mal meine Frau, wie das bei meiner Abschlussarbeit war“, sagt Siebel. 85 Stunden hat er gearbeitet, bis er die Arbeit abgeben konnte. Da stand er deutlich unter Stress. Denn das „Studium im Alter“ bietet keinen berufsrelevanten Abschluss, trotzdem werden die Standards des Bachelors auf die Älteren angewandt. Und auch die „Profs“ machen keinen großen Unterschied zwischen den Generationen. „Gerade Professor Trawny, den ich sehr schätze und dem ich viel zu verdanken habe, fand immer wieder Anmerkungen“. Etwa wenn Siebel wieder zu sehr „aus dem Bauch heraus“ schrieb, kritisierte der geschätzte Professor die mangelnde Wissenschaftliche Arbeit.
Wer sich für ein Seniorenstudium entscheidet, der wählt zwei von elf sozial- und geisteswissenschaftlichen Fächern. „Und ohne EDV—Kenntnisse geht das Studium auch nicht“, sagt Siebel. Die gesamte Organisation läuft digital. Aber jeder, der noch nie studiert hat, lernt das Leben und Arbeiten in einem Orientierungssemester kennen.
Siebel hat konsequent gearbeitet, in der Regelstudienzeit hat er seinen Abschluss gemacht, sogar einen Schein mehr als benötigt. „Wenn ich etwas anfange, dann mache ich es auch richtig“, sagt er. Und sein Studium brachte ihm enorm viel fürs weitere Leben. „Ich kann ein Buch vier, fünf Mal lesen, aber den Blick, den dir ein Professor auf eine Sache bietet ist unheimlich wertvoll.“ Dazu der Austausch mit den Mitstudenten, alles prima und lohnt sich für jeden, findet Siebel.
Im November erhält er seine Urkunde, dann ist das Studium beendet, aber warum war er eigentlich jetzt noch mal an der Uni. „Ach, ich hab mich als Gasthörer eingeschrieben.“ Das lernen lässt ihn nicht los, aber als Gasthörer ganz ohne Prüfungsstress und Arbeit. Nur lernen und genießen.