Mutter fehlt die Kraft für Besuch am Baby-Grab

Gutachterin geht von verminderter Schuldfähigkeit der Angeklagten (23) aus.

Wuppertal. Am zweiten Tag im Totschlagsprozess gegen eine 23 Jahre alte Mutter hat die Gutachterin - wie allgemein erwartet - der Angeklagten zur Tatzeit verminderte Schuldfähigkeit attestiert. Wie berichtet, hat die Frau aus dem Kongo gestanden, im Mai 2007 ihre neugeboren Tochter kurz nach der Entbindung erstickt und dann im Keller der elterlichen Wohnung an der Uellendahler Straße versteckt zu haben.

Zuvor hatte die junge Frau aus Angst vor der Familie und um ihren Arbeitsplatz in einer Fabrik die Schwangerschaft über Monate verheimlicht. Die Gutachterin äußerte am Dienstag die Vermutung, dass die junge Frau es trotzdem darauf angelegt haben könnte, dass jemand aus der siebenköpfigen Familie die Schwangerschaft bemerkt. So habe die zierliche Person keineswegs weite Kleidung getragen, um ihren Bauch zu kaschieren.

Dennoch stellte niemand nachdrücklich Fragen. Und am Dienstag machten die als Zeugen geladenen Familienangehörigen allesamt von ihrem Schweigerecht Gebrauch. Auch das war letztlich keine Überraschung.

Wie berichtet, lebt die Familie mit der 23-Jährigen - sie ist gegen Kaution seit Monaten auf freiem Fuß - wieder unter einem Dach. Im Kreis ihrer Familie versorgt die junge Frau unter anderem ihren mittlerweile fünf Jahre alten Sohn.

Wegen dieser ersten Schwangerschaft hatte das Familienoberhaupt die junge Mutter zwischenzeitlich verstoßen. Immerhin galt die 23-Jährige ihren jüngeren Geschwistern als Vorbild, machte Fachabitur, spricht vier Sprachen, verdiente Geld, mit dem sie die Familie unterstützte.

Die Gutachterin erklärte damit die Angst der Angeklagten vor der Entdeckung der erneuten Schwangerschaft. Über die Wuppertaler Babyklappe - sie liegt nur einige hundert Meter von der damaligen Wohnung der Familie entfernt - habe sie sich ein einziges Mal im Internet informiert. Eine Lösung stellte das offenbar nicht dar. Stattdessen blendete die junge Frau die Schwangerschaft vollkommen aus. Als dann die Wehen einsetzten, habe es aus Sicht der jungen Mutter keine Alternative zur Kindstötung gegeben.

Die Gutachterin stellte ebenfalls fest, dass die 23-Jährige seither unter einer posttraumatischen Belastungsstörung leidet. So etwas haben normalerweise nicht Täter, sondern Opfer von Entführungen oder Gewalttaten. Offenbar wird die 23-Jährige immer wieder von den Bildern der Geburt und ihrer Tat heimgesucht, ist deswegen seit geraumer Zeit in Behandlung.

Bislang hat sie auch noch nicht die Kraft gefunden, das Grab ihrer Tochter zu besuchen. Im November des vergangenen Jahres hatte das Ordnungsamt die Bestattung übernommen. Die Familie sei seinerzeit nicht in der Lage gewesen, sich darum zu kümmern, und nahm auch nicht an der Zeremonie teil. Mittlerweile hat die junge Mutter offenbar Kontakt zu den Behörden aufgenommen, will erfahren, wo ihre Tochter beerdigt ist. "Ob und wann sie die Kraft findet, das Grab zu besuchen, ist nicht abzusehen", sagt Verteidiger Andreas Sauter.

Plädoyers und Urteil sind für Donnerstag geplant.