Offen gesagt Diesmal aber richtig

Wuppertal · Warum das geplante Zuhause für das Tanztheater Pina Bausch auch gut für die Stadtentwicklung wäre.

Foto: Schwartz, Anna (as)

Erst 60 Millionen Euro, dann 71 Millionen Euro und nun 84 Millionen Euro. Das Pina-Bausch-Zentrum an der Kluse wird Wuppertal teuer zu stehen kommen. Denn zum Baukostenanteil von gut 20 Millionen Euro gesellen sich Betriebskosten von etwa sieben Millionen Euro pro Jahr. Das sind schier unvorstellbare Summen für eine Stadt, die weder ihre Schulgebäude noch ihre Straßen ordentlich pflegen kann und deren Dienstpflicht am Bürger viel zu oft an Personalmangel scheitert. 84 Millionen Euro für ein Tanzzentrum mit Begegnungsstätte passen auf den ersten Blick eher zu Düsseldorf, München oder Hamburg. Aber zu Wuppertal? Zu einer Stadt, deren Finanzdecke notorisch zu kurz ist, deren Kämmerer wie ein Sumo-Ringer auf der Kasse sitzt und die Schatulle nur öffnet, wenn es gar nicht mehr anders geht, es sei denn, ihm gefällt die Ware, die es zu kaufen gilt.

Im Falle des Pina-Bausch-Zentrums ist das so. Neben Kulturdezernent Matthias Nocke und Oberbürgermeister Andreas Mucke hat Johannes Slawig sich gewissermaßen an die Spitze der Bewegung gesetzt, um den Traum vom Tanzzentrum im wegen Brandschutzmängeln geschlossenen Schauspielhaus zu verwirklichen. Und trotz der immensen finanziellen Herausforderung, trotz der atemberaubenden Geldsummen, um die es hier geht, trotz alldem ist es genau die richtige Haltung. Wuppertal braucht dieses Tanzzentrum. Es kann die künstliche Beatmung einer Stadt sein, die schon viel zu lange und zunehmend erfolglos nach Luft schnappt.

Natürlich haben Kritiker recht damit, dass so ein Zentrum für modernen Tanz bei weitem nicht jeden Wuppertaler ansprechen wird. Die allermeisten werden mit den teils überraschenden Wendungen von Handlung und Körpern nicht viel anzufangen wissen. Moderner Tanz ist schließlich etwas für Spezialisten, ähnlich wie Free Jazz und Zwölfton-Musik. Das mag stimmen, und wer Bedenken gegen dieses teure Projekt hat, ist deshalb noch lange keine Unke.

Für eine Stadt am Rande der Pleite braucht es in der Tat schon sehr gute Argumente, Abermillionen für ein wenn auch stets sehr gut besuchtes und weltweit gefeiertes Minderheitenprogramm auszugeben Und diese Argumente gibt es. Eine Stadt mit der Geschichte Wuppertals muss sich kulturelle Exzellenz leisten. Wuppertal war einst ein Zentrum des kulturellen Lebens Westdeutschlands. Alles, was Rang und Namen hatte, bot seine Kunst auf den Bühnen an der Wupper dar. Es war die Blütezeit dieser Stadt, die Unternehmergeist und Bergisch-bodenständiger Fleiß groß gemacht haben. So eine Stadt darf sich nicht verzwergen, in dem nur noch geboten wird, was die vermeintlichen Massen begeistert. So eine Stadt braucht ein Nischenprogramm wie eben das Tanztheater und den Skulpturenpark Waldfrieden, wie das Von der Heydt-Museum und das Sinfonieorchester. Eine Stadt im Überlebenskampf wie Wuppertal braucht Glanzlichter, die aus dem grauen Einerlei der Pleitekommunen leuchten. Eine Stadt wie Wuppertal braucht Selbstwertgefühl, aus dem neues Selbstbewusstsein wachsen kann. Deshalb braucht Wuppertal das Tanztheater, deshalb sind die 84 Millionen Euro Bau- und die jährlich sieben Millionen Euro Betriebskosten gut investiertes Geld.

Was wäre die Alternative? Ein vergammelndes, weil unter Denkmalschutz stehendes Schauspielhaus, das ein weithin sichtbares und sichtbar gemachtes Fanal wäre für eine sterbende Stadt.

Das Tanzzentrum dagegen hat Potenzial, ein ganzes Stadtquartier zu erneuern. Wenn es, anders als der Döppersberg, nicht nur zu Ende gedacht, sondern auch zu Ende geplant und zu Ende gebaut wird, dann entsteht an der Kluse mit dem Großkino eine Kultur-Insel, die sich über die Baum’sche Fabrik und die Bergische Musikschule an der Hofaue an die neue Innenstadt um den Döppersberg anknüpfen ließe. Ja, das klingt ungewöhnlich, weil es etwas mit Stadtentwicklung zu tun hat. Und die haben Wuppertals Verantwortliche nach ihrer Entscheidung für den neuen Döppersberg vor gut zehn Jahren im Prinzip eingestellt.

So lieblos, wie das Gebiet um den Bahnhof in Teilen zusammengeschustert wurde, darf es an der Kluse deshalb nicht sein. Sonst kann das Hochkultur-Projekt am Wupperbogen seine Kraft nicht entfalten. Und dann bliebe das Tanzzentrum weit hinter der Möglichkeit zurück, mehr als die längst überfällige Heimstätte eines meist hinreißenden Minderheitenprogramms zu sein. Nicht wegen der 84 Millionen Euro Baukosten, nicht wegen der sieben Millionen Euro Betriebskosten aus dem städtischen Haushalt, sondern wegen des Erbes von Pina Bausch hat das Projekt mehr verdient. Deswegen und weil Wuppertal endlich aufhören muss, sich gehen zu lassen.