Herr Hackbarth-Schloer, Sie sind seit knapp zwei Monaten als Polizeiseelsorger im Amt. Mit welchen Fällen werden sie konfrontiert?
Interview „Wir Menschen sind Resonanzwesen“
Wuppertal · Uwe Hackbarth-Schloer ist seit August neuer Polizeiseelsorger für die Behörde Düsseldorf, zu der auch Wuppertal gehört. Im Interview mit der WZ spricht der Pfarrer und Pastoralpsychologe über Wertschätzung im Polizeiberuf, wie Polizisten belastende Einsätze verarbeiten können und warum er mit 58 Jahren noch einen Neuanfang wagt.
Uwe Hackbarth-Schloer: Akutversorgung ist vor allem dann nötig, wenn Kollegen von Vorfällen zu sehr mitgenommen sind, gerade beim Gebrauch von Schusswaffen. Es geht aber nicht nur um einzelne Einsätze, sondern auch Herausforderungen, denen Mitarbeiter permanent begegnen. Polizisten, die am Ort eines schweren Verkehrsunfalls die Spurensicherung machen und ständig mit Schwerstverletzten oder Toten konfrontiert werden. Oder die Kriminalwache, die mitunter Menschen sieht, die seit zwei Wochen tot in der Wohnung liegen oder Suizid begangen haben.
Und wie geht man damit um? Folgen Sie einem bestimmten Konzept?
Hackbarth-Schloer: Präventiv bieten wir Kurse an, wie Polizisten psychische Resilienz, also Widerstandskraft, aufbauen. Generell lasse ich mich aber auf jeden individuell ein. Ich hatte einen Polizeifotografen, der auch Obduktionen ablichten muss und noch nicht wusste, wie er damit klarkommt. Er sagte, die Belastung fange bereits mit den Gerüchen an. Aber am schlimmsten sei es für ihn, sich vorzustellen, verstümmelte Leichen oder tote Kinder fotografieren zu müssen. Dann habe ich überlegt, wie er eine Distanz zu der Aufgabe aufbauen kann, indem er sich auf die fachliche Erstellung der Bilder konzentriert, wie Lichteinfall und die richtige Blende.
Nehmen Sie einen gewissen Schmerz auf, damit derjenige, mit dem Sie sprechen, diesen nicht alleine tragen muss? Oder sind Sie jemand, der selbst darauf achtet, die Distanz zu wahren?
Hackbarth-Schloer: Seelsorge besteht darin, die Erfahrung zu machen, dass ich in dem, was mich bekümmert, nicht einsam bin. Und dass ich jemandem begegne, der mich nicht verurteilt, weil ich mit einer Situation nicht fertig werde, sondern wertneutral ist.
Das klingt aber sachlich.
Hackbarth-Schloer: Kein bisschen. Wir Menschen sind Resonanzwesen – wie Glocken. Wenn bei uns ein Punkt getroffen wird, versetzt er uns in Schwingungen. Wenn Sie verliebt sind, hat jemand diesen Punkt berührt und es wird ein schöner, heller Ton sein, der Sie ausfüllt. Aber wenn Sie ein Schicksal erleben, kann die Schwingung Sie zerreißen. Das kann auch Seelsorgern passieren.
Wie sehr wird die Hilfe denn in Anspruch genommen?
Hackbarth-Schloer: Früher hieß es in vielen Behörden: „Nicht zusammengeschissen ist schon genug gelobt.“ Heute fordern viele junge Polizisten ihr Recht ein, dass ihre Arbeit gesehen und wertgeschätzt wird. Sie sind daher auch eher bereit, psychosoziale Unterstützung anzunehmen.
Kann diese Belastung in allen Fällen gemindert werden, sodass Polizisten wieder normal ihrer Arbeit nachgehen können?
Hackbarth-Schloer: Nein, deshalb begleiten wir als Seelsorger auch Menschen, die das Arbeitsfeld aufgrund ihrer Erlebnisse verlassen wollen. Es gab vor Kurzem in Düsseldorf eine Polizeianwärterin, die zu einem Einsatz gerufen wurde, bei dem sich jemand vor einen Zug geworfen hatte und der Körper mehrere Meter über die Bahngleise verteilt war. In solchen Fällen bin ich dann nicht der Motivationstrainer, der sagt (haut mit der Faust auf den Tisch): Komm, da geht noch was, fünf Jahre schaffst du noch!“
Sie sind im Auftrag der evangelischen Landeskirche tätig: Bauen Sie christliche oder kirchliche Komponenten in Ihre Seelsorge ein?
Hackbarth-Schloer: Wir bieten spirituelle Seminare an, Tage der Stille für Polizeikräfte. Im Januar kommt ein neuer katholischer Kollege, mit dem ich ein Pilgerseminar anbieten werde. Darüber hinaus gibt es Gedenkgottesdienste für Verstorbene. Die Seelsorge lebt aber stark davon, dass ich ein Gespür dafür entwickeln muss, was jemandem guttut. Und wenn ich merke, dass Religion etwas Stabilisierendes und eine Kraftressource sein kann, binde ich das ein.
Sie sind jetzt 58 Jahre alt und waren bislang nicht für die Polizei tätig. Warum wagen Sie so spät noch einen Neuanfang?
Hackbarth-Schloer: Ich habe noch acht oder neun Jahre bis zur Pensionierung vor mir. Ich möchte mehr Seelsorge machen, als es am Berufskolleg in Ratingen möglich gewesen ist.
Aber ein so kritisches Umfeld wie die Polizeiarbeit zu betreuen, muss man wollen.
Hackbarth-Schloer: Das ist mir nicht fremd. Im Berufskolleg habe ich auch Abgründe kennengelernt. Unter welchen Bedingungen Jugendliche groß werden, wie Familien versagen. Junge Menschen, die Erfahrungen von Flucht und Verfolgung gemacht haben. Menschen, die von Abschiebung bedroht waren – in angeblich sichere Herkunftsländer wie Afghanistan. Es war an manchen Stellen ein sehr bitteres Arbeitsfeld.
Nun müssen Sie eine weitreichende Region betreuen. Wie können Sie allen Städten gerecht werden, zumal Ihre Dienststelle in Düsseldorf ist?
Hackbarth-Schloer: Wir haben in Wuppertal die Situation, dass sich Pfarrer Michael Klaus seit 30 Jahren ehrenamtlich in der Polizei- und Notfallseelsorge engagiert. Ein Urgestein, der sehr gut vernetzt ist. Wenn er mal aufhört, kann ich das in der Intensität gar nicht kompensieren.