Meinung Proteste gegen Spahn in Wuppertal: Der Staat hat Teile seiner Bürger hoffnungslos verloren
Der Besuch des Bundesgesundheitsministers Jens Spahn (CDU) in Wuppertal war in vielerlei Hinsicht bemerkenswert. Einerseits spricht es für den Minister, dass er mitten in der Corona-Pandemie und in Zeiten wieder zunehmender Einschränkungen das Gespräch mit den Menschen auf der Straße sucht.
Andererseits ist ernüchternd, wie wenige Leute von dem Angebot Gebraucht gemacht haben. Ebenso überraschend war die überschaubare Präsenz der Wuppertaler Polizei auf dem Johannes-Rau-Platz im Stadtteil Barmen. Zunächst haben lediglich zwei Beamte die vier Personenschützer des Ministers unterstützt. Angesichts eines aufgebrachten Mobs, der deutlich in der Überzahl war, ist das überraschend.
Dabei hätte jeder wissen müssen, dass eine solche Veranstaltung mit dem Gesundheitsminister nicht friedlich über die Bühne gehen würde. Die Distanz zwischen Krakeelern und Spahn war zwischenzeitlich bedenklich kurz. Und je länger der Minister sich mühte, mit den Vernünftigen ins Gespräch zu kommen, desto giftiger wurden die Coronaleugner und potenziellen Impfverweigerer.
Die Szenerie erinnerte an eine aus dem Ruder gelaufene Pegida-Demonstration und war ein Beleg dafür, dass der Staat einen Teil seiner Bürger in der Pandemie hoffnungslos verloren hat. Wer Politiker als Vaterlandsverräter und Kindermörder beschimpft, wer Medienvertreter mit Lügenpresse betitelt, ist für Argumente nicht mehr zu erreichen. Ihm müssen Exekutive und Judikative beibringen, welche Grundregeln beachtet werden müssen, damit eine Demokratie funktionieren kann.
Für alle anderen müssen Politiker und Behörden verständlich, verlässlich und transparent mit dem Corona-Virus umgehen. Regel-Flickenteppiche und Zickzackkurse schaffen Unsicherheit. Im Kampf gegen das Virus hat sich das föderale System Deutschlands bisher nicht mit Ruhm bekleckert.