Wuppertal Rachmaninows Werke als Poesie
Andrei Korobeinikov spielte im Bayer-Klavierzyklus in der Stadthalle.
Sind die Klavierwerke von Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow Poesie? Eigentlich können sie getrost als eigenständig gelten, trotz der zyklisch angeordneten Préludes. Auf der anderen Seite hat Rachmaninow durchaus Literatur vertont, machte etwa aus dem vierteiligen Gedicht „The Bells“ (Die Glocken) von Edgar Allan Poe eine Chorsinfonie. Ob er bei anderen Kompositionen aber auch an diese vier Strophen dachte, ist reine Spekulation.
Der fast 30-jährige russische Pianist Andrei Korobeinikov geht das Wagnis ein, schnürt einige Klavierstücke Rachmaninows zu vier Paketen, die seiner Meinung nach die Intentionen des Poe-Gedichts wiedergeben: silberne (jugendliche), goldene (reife), bronzene (lebensstürmische) und eiserne (todbringende) Glocken.
Auf Einladung der Kulturabtei-lung der Bayer-Werke stellte er im Mendelssohn-Saal der Stadthalle dieses zweistündige Konzept vor und rückte damit einen Teil des umfangreichen rachmaninowschen Klavier-Oeuvres in ein neues Licht. Jeden der vier Teile, jeweils zusammengesetzt aus drei bis sechs Werken, spielte er ohne Pause an einem Stück. Ihnen stellte er jeweils die vier Poe-Verse voran, die er im Stehen und auf Englisch deklamierte.
Verspielt-ungestüm kam der erste Abschnitt daher, romatisch-verklärt und ein wenig aufgewühlt der zweite. Stürmisch-grollend ging es weiter, bis nach kontemplativen und verhauchenden Tönen dieses groß angelegte neue Opus mit fulminanten Klangausbrüchen endete. Rachmaninow war dafür bekannt, als Pianist seine eigenen und andere Tonschöpfungen jenseits von jeglichem Manierismus rational zu interpretieren.
Korobeinikovs Haltung war an diesem Abend eine andere. Er ging romantisch an die Stücke heran. Große musikalische Bögen zog er über die jeweiligen Abschnitte, der rechten Hand auch bei eruptiven Passagen weiche Töne entlockend. Kantable Momente flossen lyrisch. Seine Vorträge muteten tatsächlich wie eine musikalische Umsetzung von Poes Glockengedicht mit Mitteln von Rachmaninows Musik an. Das Publikum zeigte sich von dieser neuen, poetischen Spielweise angetan, spendete ausgiebigen Beifall, der in zwei Zugaben mündete.