Literarische Teezeit Sarg zur Hochzeit: Bernt Hahn las in Wuppertal aus Jack-London-Werk
Wuppertal · Was gibt es Gemütlicheres, als an einem trüben November-Nachmittag etwas vorgelesen zu bekommen?
Das erlebten die knapp 40 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Literarischen Teezeit jetzt im Café Podest im Skulpturenpark.
Auf den langen Tischen aus honigfarbenem Holz standen prächtige Etageren mit Gebäck, kleine Herbststräuße sorgten für die passende Dekoration. Über allem hing der Duft von Kaffee, in manche Tasse floss ein Strahl goldenen Tees. Die bodentiefen Fenster des Wintergartens gaben den Blick in den Herbstwald frei, in dem das gelbe Laub mit den fast schwarzen Stämmen kontrastierte, derweil drinnen Bernt Hahn zum Rednerpult schritt. Zum bundesweiten Vorlesetag veranstalte das Literaturhaus Wuppertal in Zusammenarbeit mit dem Skulpturenpark den Auftakt der Veranstaltungsreihe „Literarische Teezeit“. Bernt Hahn las aus den Erzählungen von Jack London, dem Autor der Romanklassiker „Wolfsblut“, „König Alkohol“, Lockruf des Goldes“ oder „Der Seewolf“.
Mucksmäuschenstill war es, als der Vorleser seinen Vortrag begann. Lebendig in der Satzmelodie, die verschiedenen Charaktere stimmlich herausarbeitend, erhielten die Gäste Einblick in die Zeit des Goldrausches, in der zahllose Abenteurer auch aus Europa nach Alaska reisten, um dort ihr Glück mit dem Schürfen von Gold zu machen. Gesellschaftsbild, Sittenportrait, reichlich Spannung und ein überraschendes Ende, wie es auch in den Novellen von E.T. A. Hoffmann den Leser regelrecht überrumpelt und sprachlos zurücklässt: Jack Londons Erzählung „Goldblüte“ fesselte die Zuhörer, die kaum wagten, ein Stückchen Kuchen in den Mund zu stecken oder an ihrer Tasse zu nippen. Dem Wuppertaler Schriftsteller Michael Zeller oblag die Auswahl der Texte, und er hatte sich für die fesselnde, novellenhafte Erzählung von Jack London entschieden, die mit einem unerhörten Ende Hintergründe des Schicksals der schönen jungen Frau Mary alias „Goldblüte“ entwickelt. In der Rahmenhandlung stapfen zwei Männer durch den Schnee, und im Gespräch entwickelt sich Goldblütes Geschichte als Binnenerzählung. Sie verfällt dem Wahnsinn. Sie betrügt ihren bei der Goldsuche tödlich verunglückten Verlobten Dave Walsh, der ihr vor seiner Abreise geschworen hat, sie gehöre ihm, bis zu beider Tod und darüber hinaus. Kurz vor dem Jawort auf dem Yukon-Dampfschiff mit ihrem neuen Geliebten poltert der Sarg mit ihrem ersten Verlobten als ungesicherte Ladung in die Hochzeitszeremonie. Der Sarg springt auf und der im Alaska-Eis konservierte Dave stürzt auf seine Verlobte, die den Verstand verliert.