„Engel des Nordens“ auf Lichtscheid
Michelle Bürger ist gebürtige Engländerin. Ihr Mann Lutz überrascht sie mit einem Stück Heimat: einer Statue.
Lichtscheid. Er umarme Reisende mit seinen Flügeln und sei ihre Zuflucht, wo immer sie sich aufhielten. So schrieb es die Zeitung „The Guardian“ über den „Angel of he North“, den Engel des Nordens. Die Monumentalskulptur des englischen Künstlers Antony Gormley hat seit vergangenem Freitag einen Wuppertaler Bruder. Was die beiden in jedem Fall eint, ist die Position dicht an der A1. Nur dass der Originalengel in Gateshead an der A1 nach Edinburgh steht, die Miniaturausgabe vor dem Haus Bergfrieden 6 unweit der A1 nach Köln. Wie er dorthin gelangte? Michelle Bürger erklärt es einleuchtend: „Mein Mann ist ein bisschen verrückt.“
In der Tat, es ist ein bizarrer Anblick. Vier Dudelsackspieler gehen einem Fahrzeug mit Anhänger voran, auf dem ein rostiger Metallkörper liegt. Wer genügend Affinität zu britischem Liedgut besitzt, der denkt sogleich an die schwermütigen Verse zu „Loch Lomond“: „Oh, ye’ll take the high road“ — der eine kehrt heim auf der Straße der Toten, dem anderen bleibt das Leben in Trauer. Aber den Wuppertaler Angel umweht kein Hauch von Kummer.
Über den Böhler Weg zieht der skurrile Tross vor dem Angel her in die Straße Bergfrieden und hält an einem Vorgarten inne. Nachdem ein Kran Position bezogen hat, stimmen die Dudelsackpfeifer das „Amazing Grace“ an. So wird der Engel mit allem erdenklichen Pomp neben die Rabatten gehievt. Michelle kann es nicht fassen, nicht glauben und nicht einmal richtig verstehen.
Was immer es da zu verstehen gibt, hat Michelles Mann Lutz Bürger in einem Buch mit dem Titel „The story of the Little Angel of the North“ zusammengetragen. „I had a dream“, schreibt er da in Anlehnung an Martin Luther King. Sein Traum war es seit Jahresbeginn, seiner Frau zur Eröffnung ihres Kosmetikstudios ein gewichtiges Denkmal vor die Tür zu setzen. Michelle, die inzwischen seit 30 Jahren in Wuppertal lebt, kam im Alter von zwölf Jahren mit ihren Eltern aus Middlesbrough nach Deutschland, nachdem der Vater als Stahlarbeiter keine Zukunft mehr in seiner Heimat sah. Den riesigen Engel, der an die industrielle Vergangenheit Nordenglands erinnert, hatte Michelle bei einer Urlaubsreise gesehen und war tief beeindruckt. Da fasste Lutz Bürger den Entschluss, seiner Frau ein etwas ausgefallenes Liebesgeschenk zu machen.
„Ich habe Antony eine Mail geschickt und ihm geschildert, wie sehr ich meine Frau liebe“, erzählt Lutz. Der Künstler habe sich nicht lange bitten lassen und die Erlaubnis zur Nachbildung seiner Skulptur erteilt. „Wir müssten uns nur etwas einfallen lassen, wie wir das hinkriegen.“ Per CAD-Vermessung und der Erfahrung des Kunstschmieds Dirk Höller aus Bad Essen wurde der Engel im Maßstab 1:10 ausgeführt. Um den Prachtkerl dann noch mit echter Noblesse an seinen Bestimmungsort zu bringen, bestellte Lutz Bürger den Pipe Major David Johnston, geehrt im Guinness Buch der Rekorde, weil er als einziger seiner Zunft jemals während eines Fallschirmsprungs Dudelsack spielte. „So etwas“, kommentiert Michelle“, hat keiner in Wuppertal.“