Aktion am frühen Morgen Unterwegs mit dem WZ-Chefredakteur beim Zeitungsaustragen in Wuppertal (mit Video)

Wuppertal · Lothar Leuschen arbeitet derzeit in zwei Schichten. Einmal im Büro und einmal als Zusteller auf Zeit.

Ein zuverlässiger Zeitungsbote: WZ-Chefredakteur Lothar Leuschen.

Foto: ANNA SCHWARTZ

Der Chefredakteur schnappt sich einen Packen Zeitungen vom Rücksitz, klemmt sie unter den Arm, knipst seine Stirnlampe an und läuft zwischen Hecken und Mauern hindurch zum Briefkasten, wo er sorgfältig die WZ einwirft. Es nieselt, feinstes Wuppertaler Wetter bei etwa acht Grad um 4.56 Uhr. „Ich lerne gerade die Leser kennen“, sagt Lothar Leuschen. Zumindest kennt er jetzt um die 70 Namen, weiß, für welchen Briefkasten er die Zeitung in welche Form knicken muss und hat im Kopf, wo sich welche Hausnummer am Freudenberg versteckt. Denn zurzeit trägt der Chef persönlich Zeitungen aus – und das vor seiner zweiten Schicht, dem Tag im Büro als Chefredakteur.

Zeit zum
Nachdenken

Sein Zustellgebiet ist der Freudenberg: eine beschauliche Gegend, in der viele Einfamilienhäuser stehen. Um diese Tageszeit ist es noch ruhiger als ohnehin schon. Hin und wieder kreuzt eine Katze den Weg von Leuschen, ansonsten ist es still hier oben, es sind kaum Autos unterwegs, hinter den Fenstern der Häuser brennt nur sehr vereinzelt mal ein Licht. Während die Welt – also Wuppertal – noch schläft, hat der 60-Jährige seine Ruhe. „Manchmal denke ich über Geschichten nach, die man noch machen könnte“, sagt Leuschen. So sei ihm die Idee gekommen, mal die Geschichten von Menschen aufzuschreiben, die das Ende ihres Lebens allein verbringen mussten und derer bei Trauerfeiern gedacht wird.

Und da Leuschen gewöhnlich froheren Gemütes ist, erzählt er im Anschluss an seinen nächtlichen Einfall auch gleich noch eine aufmunternde Geschichte: Obwohl er beim Austragen nie direkt mit jemandem ins Gespräch gekommen sei, habe er doch Kontakt gehabt. Eine Dame habe ihm einen Brief hinterlassen mit der Nachricht, dass sie für zwei Tage keine Zeitung benötige – Leuschen hat darauf ebenfalls mit einem Brief geantwortet. Und bei einem Haus habe er den Briefkasten partout nicht entdecken können und die Zeitung im Zaun eingeklemmt. Dort habe dann ein Zettel gehangen; darauf die Nachricht, dass sich der Briefkasten an der Garage befinde und die Zeitung demnächst bitte dort eingeworfen werden solle. „Das war nett, ich habe den Briefkasten nämlich wirklich nicht gesehen“, berichtet Leuschen von den Tücken des Jobs.

Er habe beim Austragen der Zeitungen auch Dinge erlebt, die er in Wuppertal nie erwartet hätte. „An der Uni haben sich einmal zwei Marder gefetzt, das war vielleicht laut“, berichtet er. Er sei um die Ecke gegangen, um zu schauen, was da eigentlich los ist. Geschlichtet habe er den Streit der Marder am Campus Freudenberg aber nicht – das wäre viel zu gefährlich gewesen.

Bis 6.30 Uhr müssen
alle Zeitungen zugestellt sein

Weil sein Zustellgebiet eines der größten ist, fährt er einen Teil der Strecke immer mit dem Auto. „Die Leser müssen bis 6.30 Uhr die Zeitung haben“, erläutert Leuschen. Er hat also nicht ewig Zeit, um die 70 Abonnentinnen und Abonnenten zu versorgen. „90 Minuten brauche ich in etwa für die Tour.“ Zu den Briefkästen geht er schnellen Schrittes, denn auch am entferntesten Punkt der Tour, an der Grenze zum nächsten Zustellgebiet, möchte er die Zeitung pünktlich liefern. Eigentlich sei der Job schon schön, findet Leuschen.

Es hat aufgehört zu regnen, die Luft ist klar und angenehm. Man lerne die Stadt von einer anderen Seite kennen, habe eben Zeit zum Nachdenken, „und man entdeckt, dass man auch mal zu Fuß gehen kann. Laufen ist gar nicht so schlecht wie sein Ruf.“ Wenn er als Chef den Tag in der Redaktion verbringe, komme die Bewegung manchmal zu kurz, obwohl er schon versuche, nicht den ganzen Tag am Schreibtisch zu sitzen. Nun mache er immerhin „Frühsport“. Mit der Uhrzeit hadere er aber hin und wieder, denn die zweite Schicht als Chefredakteur beginnt meist erst gegen 10 Uhr, zieht sich aber deshalb auch nach hinten raus, insbesondere, wenn Abendtermine anstehen. „Ich merke dann schon, dass ich keine 20 mehr bin“, sagt Leuschen. Er habe auch verschiedene Uhrzeiten getestet: Als er anfangs um 2 Uhr mit dem Austragen begann, war er tagsüber ziemlich gerädert. Bei 3 Uhr war es schon besser, mit 4.30 Uhr habe er eine für sich passende Uhrzeit gefunden.

Frühstück nach
der ersten Schicht

Gegen 6.30 Uhr müssen die Zeitungen dann auch zugestellt sein, Leuschen hat alle 70 Abonnentinnen und Abonnenten versorgt – und bringt seiner Frau auch gleich noch Brötchen mit. „Jetzt gibt es erst einmal Kaffee, dann Frühstück. Und dann entscheide ich, ob ich mich noch einmal hinlege“, erklärt Leuschen. Denn einige Stunden später beginnt seine zweite Schicht als Chefredakteur. Dafür tauscht er die orangene Regenjacke mit einem Jacket, die Sneaker gegen Lederschuhe und die Stirnlampe setzt er auch ab.

Gegen 6.30 Uhr kehrt Leben in die Stadt. Einige Hundebesitzer sind mit ihren Vierbeinern unterwegs, auf der Straße kommen Lothar Leuschen hin und wieder Autos entgegen. Pünktlich zum Ende der ersten Schicht fängt es wieder an zu regnen. Es ist, trotz der Müdigkeit, auch ein gutes Gefühl, schon Menschen mit der Belieferung der Zeitung glücklich gemacht zu haben, während Wuppertal im Regen gerade erst wach wird.