Landgericht Wuppertal Urteile gegen NS-Gewalttäter: selten und mild
Michael Okroy sprach im Justizzentrum über die gerichtliche Aufarbeitung von nationalsozialistischen Verbrechen in Wuppertal.
Ob die Geschichte jemals beendet ist, als „Lehrmeisterin des Lebens“ fungiert oder als Tragödie beziehungsweise Komödie wiederkehrt - über diese Einschätzungen streiten sich die gelehrten Meinungen. Dass aber gerade die jüngere deutsche Geschichte in der Öffentlichkeit auf lebhaftes Interesse stößt, bewies am Mittwochabend die Resonanz auf den Vortrag des Sozialwissenschaftlers und Lokalhistorikers Michael Okroy. Im Foyer des Justizzentrums hielt er einen Vortrag zum Thema „Exzesstäter, Karrieristen, Befehlsempfänger - NS-Prozesse vor dem Landgericht Wuppertal“. Etwa 100 Zuhörer fanden sich zu den Ausführungen ein – der Andrang war so groß, dass zusätzliche Stühle organisiert werden mussten.
Der Vortrag fand im Rahmen der Wanderausstellung „Justiz und Nationalismus“ statt, die derzeit im Justizzentrum Station macht. Sie sei „überwältigt von dem Zuspruch“, freute sich die Präsidentin des Landgerichts Wuppertal, Annette Lehmberg. Die große Resonanz zeige, dass das Thema von öffentlichem Interesse sei, hätten doch nach 1945 etliche durch die NS-Zeit belastete Juristen an Gerichten, aber auch in Verwaltungen sowie Forschung und Lehre weitergearbeitet. Die Justiz habe sich dem NS-Regime angedient und „mitschuldig gemacht“, nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte die Aufarbeitung zur Verstrickung der Justiz nur „sehr, sehr zögerlich“, bedauerte Lehmberg.
Dass Richter und Staatsanwälte in der NS-Zeit ein Unrechtsregime gestützt hatten, räumte auch Michael Okroy ein. Doch nach dem Weltkrieg seien auch etliche Verfahren und Prozesse gegen Menschen geführt worden, die vor dem Hintergrund der menschenverachtenden NS-Ideologie Gewaltverbrechen begangen hatten. Dabei habe die Justiz mit etlichen Prozessen „zur Aufklärung beigetragen“.
„Huckepack-Klausel“
statt radikaler Säuberung
Dennoch sei die Zahl der nach dem Weltkrieg wegen NS-Gewaltverbrechen angeklagten Menschen „ernüchternd“, gestand Okroy. Laut einer aktuellen Untersuchung wurde im Zeitraum zwischen 1945 und 2005 in den westlichen Besatzungszonen beziehungsweise der Bundesrepublik in fast 36 400 Verfahren gegen mehr als 172 200 Personen ermittelt. Davon wurden jedoch nur über 16 700 Beschuldigte angeklagt und wiederum nur knapp 6700 auch verurteilt. Zudem wurde nur in der Minderheit der Fälle die mögliche Höchststrafe verhängt. Angesichts der „ungeheuren Dimension der NS-Verbrechen“ sei diese Bilanz „höchst unbefriedigend“, betonte Okroy.
Dass nach dem Zweiten Weltkrieg durch die NS-Zeit belastete Juristen etwa in Wuppertal schnell wieder zu Posten und Einfluss kamen, hing nach Angaben des Experten auch mit einer pragmatischen Haltung der britischen Militärregierung zusammen. Statt auf eine „radikale Säuberung“ zu setzen, führte die britische Besatzungsmacht eine „Huckepack-Klausel“ ein, die es erlaubte, für jeden unbelasteten Juristen einen solchen mit NS-Geschichte einzustellen. Und ab dem Sommer 1946 reichte es für eine Anstellung aus, wenn die Juristen nachweisen konnten, dass sie erfolgreich ein Entnazifizierungsverfahren durchlaufen hatten. So wurden etwa in Wuppertal drei Juristen wiedereingestellt, die an NS-Sondergerichten oder bei dem Wuppertaler Erbgesundheitsgericht tätig gewesen waren.
Kam es zu NS-Prozessen, hätten sich viele der Angeklagten auf einen „Befehlsnotstand“ berufen oder versucht, ihre Rolle auf die eines Mitläufers herunterzuspielen. Das machte Okroy etwa an dem Prozess gegen eine SA-Wachmannschaft des Konzentrationslagers Kemna oder das Verfahren wegen des Massakers gegen Juden im ukrainischen Bialystok deutlich. Oft endeten die Verfahren, die durch mehrere Instanzen gingen, mit milden Strafen. Zudem wurden - wie im Bialystok-Prozess - die Hauptangeklagten zwar verurteilt, aber zugleich begnadigt. Dieses juristische Vorgehen entsprach dabei durchaus dem damaligen Zeitgeist und dem politischen Willen, einen Schlussstrich unter die NS-Zeit zu ziehen. Gleichwohl und trotz aller ernüchternden Ergebnisse sieht Okroy in den Prozessen „den gelungenen Versuch, die nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären“.