Begrabt mein Herz in Wuppertal Das Virus als Helfer in der Not
Unser Kolumnist war einst Spezialist für Kopfstöße – wie Günter Pröpper.
Im Juni 1979 beendete Günter Pröpper in Wuppertal seine Karriere als Fußball-Profi. Heute, gut 40 Jahre später, steht der Wuppertaler SV als Viertligist in der Tabelle der Regionalliga West im Tabellenkeller. Der Abbruch der Saison würde dem WSV den Klassenerhalt sichern, weil man derzeit nicht auf einem Abstiegsplatz steht, aber nah dran. Das Virus als Helfer in der Not. Früher war immer Herr Runge da, wenn es brannte. Heute auch wieder ein bisschen, wie ich hörte. Wenn die Rettung des WSV aber der einzige Vorteil ist, den unsere Stadt aus der Corona-Krise ziehen kann, dann ist das ernüchternd. Besonders für Menschen, die Fußball hassen, und von denen gibt es nicht wenige, auch wenn man es nicht für möglich hält. Ich bekenne mich zu diesem Feldsport, da ich ihn früher in der Jugend relativ erfolgreich betrieben habe. Ich war übrigens, wie Günter Pröpper, Spezialist für Kopfstöße – auch kam ich oft aus der Tiefe des Raumes, aber das nur am Rande.
Es macht mich derzeit aber sehr traurig, wie leichtfertig die Verantwortlichen des Deutschen Fußballs mit dem Thema umgehen. In Frankreich wurde die Saison beendet und Paris St.Germain zum Meister erklärt. Bei uns wäre das dann Bayern München, eine Tatsache, die vielen in unserer Region nicht gefallen würde, aber die Alternative, dass es am Ende RB Leipzig wird, würde viele Fans nicht unbedingt fröhlicher stimmen. Ohne Corona würde ja auch einer der beiden Clubs Deutscher Meister. Fußball sollte frühestens nächstes Jahr wieder gespielt werden. Mit einer Ausnahme: Die Kinder sollten ab sofort wieder gegen den Ball treten dürfen! Aber leider ist zu befürchten, dass am kommenden Wochenende die beiden höchsten Ligen im Männer-Fußball ihren Spielbetrieb wieder aufnehmen. Zwar wurde die gesamte Mannschaft von Dynamo Dresden gerade in Quarantäne geschickt, weil sich mehrere Spieler mit dem Coronavirus infiziert haben, ob dies allerdings dazu führt, die Saison nun doch nicht zu starten, ist zu bezweifeln. Ob und wann die Frauen-Bundesliga wieder Spiele austragen darf, haben die Männer noch nicht entschieden – Smiley!
Ich persönlich bin entsetzt, dass man die Bundesliga ohne Zuschauer, und ohne Rücksicht auf Verluste fortsetzen will. Ich habe vor ein paar Wochen ein Geisterspiel im Fernsehen erlebt, und kam zu der bitteren Erkenntnis, dass ohne diese verrückten Fans, ihr lautes Geschrei und fanatisches Gebrüll, ihr böses Schimpfen und gottloses Fluchen, dass ohne all dies, ohne Bier und Bratwurst, in dieser nun unheimlichen, beängstigenden Stille, Fußball ziemlich langweilig ist. Diese Einsicht ist für mich neu und muss nun schmerzvoll verarbeitet werden.
Musiker machen zwar momentan auch Geisterkonzerte, halten sich aber auf der Bühne wenigstens an die Abstandsregel. Die Fans sitzen im Auto. Im Fußball ist das schwer möglich. Um gesund zu bleiben, müssen die Spieler sich ins Abseits bewegen. Auf die Dauer auch keine Lösung. Und überhaupt: Ist beim Fußball nicht jedes Tor schon mal geschossen worden? Wurde nicht fast jeder Spielzug bereits gemacht? Gibt es noch einen spektakulären Fallrückzieher, den man noch nicht vorgeführt hat? Kann man schlimmer gefoult werden als damals Ewald Lienen, als sein Oberschenkel bis zum Knochen aufgeschlitzt war? Covid-19 klingt zwar wie FIFA 20, ist aber kein Spiel, und weitaus gefährlicher. Besser und klüger wäre es, man würde die Saison an der Playstation zu Ende spielen.
Aber nicht nur die Fußball-Fans leiden gerade. Auch die trauernden Fans der Lindenstraße. Ich war zwar kein treuer Anhänger von Geißendörfers Kult-Serie, aber ich wäre schon neugierig, wie sein Team die Corona-Krise in die Serie eingebunden hätte. Bei Tanja Schildknecht, der Besitzerin des Friseursalons, könnte ich mir gut vorstellen, dass sie während des Lockdowns verlernt hat, wie man Haare stufig schneidet und darüber todtraurig dem Alkohol verfällt. Aber am meisten hätte ich mich darauf gefreut, wie Mutter Beimer in der Küche zwei Spiegeleier brät, um sie sich dann gierig unter ihre Maske zu schieben.