Begrabt mein Herz in Wuppertal Kolumne von Uwe Becker: Stets für eine Überraschung gut

Wuppertal · Der WZ-Kolumnist berichtet von seinen früheren Vorlieben für Terroristen und warum er das Geschäft, in dem seine Mutter arbeitete, doch nicht zerstörte.

Uwe Becker, 1954 in Wuppertal geboren, ist Chefredakteur des Wuppertaler Satiremagazins Italien und Mitarbeiter des Frankfurter Satiremagazins Titanic. Jeden Mittwoch schreibt er in der WZ über sein Wuppertal.

Foto: Joachim Schmitz

Um ein Haar hätte ich mich 1970 der Roten Armee Fraktion (RAF) angeschlossen. Bereits 1968, als 14-Jähriger, hegte ich eine große Affinität für Anarchie im Allgemeinen und die Kaufhaus-Brandstifter von Frankfurt – heute liegt mir Gewalt umso ferner. Ich hasste die USA und den Krieg in Vietnam.

Meine Mutter hatte für diese Art von Sympathie natürlich kein Verständnis, besonders was die Brandstiftung betraf, wurde sie doch just zu dieser Zeit zur Erstverkäuferin in der Kurzwarenabteilung im Kaufhof Barmen befördert. Da meine Mutter mittwochs immer frei hatte, zog ich diesen Wochentag ernsthaft in Erwägung, um einen Brandanschlag auf das verhasste, kapitalistische Unternehmen zu begehen, schließlich wollte ich meine Mutter nicht in Lebensgefahr bringen. Allerdings auch nicht ihren Arbeitsplatz vernichten, den sie leidenschaftlich liebte. Daher ließ ich den Plan fallen, den Kaufhof abzufackeln. Da ich meine Haare schulterlang trug, ging ich nicht nur als Fan von Musikgruppen wie Cream, Led Zeppelin oder Jimi Hendrix durch, sondern wurde auch gerne von Polizisten kontrolliert, da ich auf jedem RAF-Plakat eine gute Figur gemacht hätte. Irgendwie machte es mich ein bisschen stolz, wenn Polizisten Zweifel an meiner freiheitlich-demokratischen Gesinnung hegten. Aber es machte mich auch wütend.

Ich war wirklich kurz davor auszurasten, durchzudrehen und im Untergrund zu verschwinden. Mein Vater meinte, bald ist Willy Brandt Kanzler, dann wird alles gut. Ich sollte auf alle Fälle zunächst meine Ausbildung zum Bürokaufmann fertigmachen. Danach könnte man meine weitere Lebensplanung neu diskutieren. Ich war damit einverstanden, mein Vater war schon klug. Er meinte, eine Karriere als Terrorist könne auch schnell enden, wenn man bei einem Banküberfall angeschossen werde und danach querschnittsgelähmt sei. Oder man lernt als Terrorist eine Frau kennen, die Kinder möchte, eine Familie gründen, da muss man seine politische Überzeugung auch mal hintenanstellen. Und wenn ich als Terrorist scheitern würde, hätte ich immerhin noch meinen erlernten Beruf als Bürokaufmann. Mein Vater verglich den Beruf des Terroristen mit dem der Profifußballer, die damals gut beraten waren, zunächst einen ordentlichen Beruf zu erlernen, da die Karriere als Fußballer durch eine schwere Verletzung auch ein jähes Ende nehmen kann. Viele berühmte Fußballer betrieben am Ende einen  Kiosk und mussten den „Kicker“, Zigaretten und Alkohol verkaufen, um sich über Wasser zu halten.

Als ich am 6. Juni 1972 vor der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer zu Hagen stand und meinen Kaufmanns-Gehilfenbrief mit dem Prüfungsergebnis „befriedigend“ in Händen hielt, wollte ich vor lauter Wut und Enttäuschung direkt eine Bank überfallen, da ich die Note „gut“ erwartet hatte. Ich verwarf den Gedanken, da ich keine Waffe dabei hatte. Außerdem war es mir ein Bedürfnis, Hagen, diese unglaublich hässliche Stadt, so schnell wie möglich zu verlassen. Okay, statt Terrorist zu werden, trat ich 1972 den Jusos bei und fieberte zusammen mit meinen Eltern am Fernseher den Hochrechnungen bei Bundes- und Landtagswahlen entgegen. Fun Fact: Ulrike Meinhof, meine frühere Lieblings-Terroristin und neben Andreas Baader der führende Kopf der RAF, besuchte in meinem Geburtsjahr für eine Weile die Rudolf Steiner-Schule in Wuppertal.

Unsere Stadt ist immer für eine Überraschung gut.