Begrabt mein Herz in Wuppertal Die Zeit nach dem Arbeitsleben
Wuppertal · WZ-Kolumnist Uwe Becker macht sich Gedanken über seine Freizeit als Rentner und wie er diese sinnvoll nutzen kann.
Das hätten viele von ihnen sicher nicht gedacht, dass ich in diesem Jahr, wenn nicht alle Stricke reißen, meinen 65. Geburtstag feiern werde. Natürlich sieht und merkt man mir das hohe Alter nicht an, so jung und geschmeidig wie ich tagtäglich noch daherkomme, über Pfützen hüpfe und moderne Turnschuhe trage. Nicht wenige Menschen schätzen mich daher auch auf Anfang oder Mitte 50, aber nicht, weil sie mir schmeicheln wollen, sondern weil sie fest davon überzeugt sind. Aber egal. Fakt ist, im Juni kommt meine private Rentenversicherung zur Auszahlung. Aber erst im nächsten Jahr kommt die gesetzliche Rente dazu, da ich leider, auf Grund meiner späten Geburt, ein paar Monate länger arbeiten muss. Aber was mache ich dann, wenn ich aus dem Berufsleben ausscheide?
Ich könnte selbstverständlich, fit wie ich bin, weiterhin alle meine Tätigkeiten ausüben, aber die Vorstellung, einfach nur Rentner zu sein, finde ich auch ziemlich cool. Ich habe kürzlich gelesen, wenn man aus einem arbeitsreichen und erfüllten Berufsleben ausscheidet und in den Ruhestand tritt, dann muss man gut vorbereitet sein. Mir wurde von Pensionären und Rentnern berichtet, die vor Langweile der Schlag getroffen hat, weil sie sich nicht rechtzeitig darum gekümmert haben, womit sie sich im Ruhestand beschäftigen könnten. Für mich steht außer Frage, ich werden niemals zu diesen alten Männern gehören, die an Großbaustellen kleine Löcher in den Bretterzaun bohren, damit sie den Arbeitern zuschauen können. So ein Vorhaben würde bei mir schon daran scheitern, weil ich überhaupt keinen Holzbohrer besitze, um mir einen freien Blick auf Baustellen zu verschaffen, geschweige mit so einem Werkzeug umgehen könnte. Ich halte es aber auch für nicht unwahrscheinlich, dass Firmen, die Baustellen mit diesen Bretterzäunen beliefern, die Gucklöcher schon vorab gebohrt haben, und vielleicht sogar in verschiedenen Höhen, weil es ja kleine, mittlere und große Rentner gibt. Aber wie gesagt, für mich wäre so eine Freizeitbeschäftigung undenkbar.
Nachdem ich vor einigen Wochen mit der besten Ehefrau von allen, wie Kollege Ephraim Kishon zu sagen pflegte, in einem Möbelhaus zu Mittag gegessen hatte, fiel mir bei der Rückfahrt durch Nächstebreck, Wichlinghausen und Oberbarmen auf, dass ich viele Straßen nicht kannte. Es gibt in Wuppertal anscheinend, ich kann es kaum glauben, Hunderte von Straßen, Alleen und Sackgassen, die ich noch nie in meinem Leben betreten habe. Mein Plan ist nun, wenn ich sie hier freundlicherweise einweihen darf, in naher Zukunft, wenn ich das Berufsleben hinter mir gelassen habe, alle Straßen in Wuppertal abzugehen – von A bis Z. Ich werde alphabetisch vorgehen, dies ist zwar total umständlich, aber so werde ich keine übersehen und kann alle Straßen von oben nach unten abhaken. Ich fahre morgens mit dem Bus in die betreffende Straße und gehe sie ab Hausnummer 1 bis zum Ende komplett durch. Danach fahre ich wieder nach Hause und ruhe mich aus, koche was und schaue Fernsehen oder lese. Die ganze Aktion ist auch nicht so teuer, weil ich ja ein Bärenticket besitze. Da es in Wuppertal insgesamt 2089 Straßen gibt, könnte ich, wenn ich pro Tag eine Straße ablaufe, in knapp 6 Jahren damit fertig sein. Selbstverständlich werde ich in jeder Straße ein Selfie machen und es auf Facebook posten.
Mein letztes Selbstportrait, so nannte man die heutigen Selfies früher, könnte ich dann in der Zähringerstraße in Oberbarmen aufnehmen. Wenn ich diese Herkulesaufgabe bewältigt habe, werde ich zwar, so Gott will, 71 Jahre alt sein, aber wahrscheinlich immer noch unternehmungslustig und voller Tatendrang. Wenn ich gesundheitlich dann doch nicht mehr so gut beieinander sein sollte, dann bohr’ ich mir halt auch so ein Loch in den Baustellenbretterzaun und beobachte die Arbeiter, wie sie die Seilbahn-Station am Döppersberg errichten oder eine Bombe aus dem 2. Weltkrieg freilegen.