Lesung Werkstatt-Lesung nimmt die „asoziale Gesellschaft“ in den Blick

Was bestimmt das Weltgeschehen? Nicht die Politik, sondern die Wirtschaft – darin sind sich der Philosoph Andreas Steffens und die Schriftstellerin Anja Liedtke einig. Mit der Vormachtstellung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung wollen sie sich jedoch nicht abfinden.

Anja Liedtke und Andreas Steffens nahmen die „asoziale Gesellschaft“ in den Blick.

Foto: Fries, Stefan (fri)

Vor allem wenn das Gebot ökonomischer Wertsteigerung, so lautet ihre These, Menschen zu asozialem Verhalten zwingt.

„Die asoziale Gesellschaft und ihre Überwindung“ soll die gemeinsame Veröffentlichung zum Thema heißen. Auf Einladung von Insel e.V. stellten Steffens und Liedtke ihr Projekt bei einer Lesung im Café Ada vor. „Wir sind da noch in einem Arbeitsprozess“, betonte Steffens. So hörte das Publikum von ihm einen Vortrag, von ihr ein Essay. Beide Texte werden in die geplante Studie mit einfließen.

Logik einer schleichenden Selbstzerstörung

Während Steffens seinen Beitrag als Diagnose verstanden wissen wollte, sah er seine Autorenkollegin „auf der Seite der Therapie“. Beim Blick auf die wirtschaftlichen Verhältnisse sprach er von der „Logik einer schleichenden Selbstzerstörung“. Als Beispiel nannte er die Deutsche Bahn, bei der man lange an den Börsengang gedacht und darüber die eigentliche Aufgabe – genug Züge auf die Schiene setzen – vernachlässigt habe.

Die Wirtschaft, fuhr er fort, werde als „Medium der Wertschöpfung“ missbraucht. Davon profitierten allenfalls „die wenigen Vermögen, die die Weltökonomie dominieren“. Zur Ökonomie der Bereicherung gehöre, dass Unternehmen Arbeitnehmer entlassen, um Kosten zu sparen. Für Steffens ist klar, dass sich die Politik von der neoliberalen „Propaganda“ hat einschüchtern lassen. Dabei könne Gefügigkeit den Verlust von Arbeitsplätzen nur verzögern. „Sie verhindert ihn aber nicht.“

Gegenwärtig, konstatierte Liedtke, sei unsolidarisches Handeln wie Steuerbetrug weithin akzeptiert. Dagegen trat sie für ein Handeln ein, das die Interessen der Mitmenschen berücksichtigt. In einer solidarischen Gesellschaft verbinde sich „der Bürger föderal mit anderen Bürgern“. Ausführlich ging Liedtke auf die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure ein. Die Unternehmer sollten daran erinnert werden, dass – wie es schon im Grundgesetz heißt – „Eigentum verpflichtet“. Die Arbeitslosen müsse der Staat aktivieren, indem er sie in „soziale und ökologische Arbeit“ einbindet oder ihnen ein Grundgehalt zur Verfügung stellt.

In der anschließenden Diskussion nahmen die beiden ein per se solidarisches System, das Gesundheitswesen, in den Blick. Die Corona-Krise habe gezeigt, sagte Steffens, dass es „nicht kaputt“ sei. Allerdings herrsche unter Politikern die Ansicht, es gebe in diesem Bereich ein Ausgabenproblem. Das Gegenteil sei der Fall, hieß es aus dem Publikum. „Das Gesundheitssystem hat ein Einnahmeproblem.“