Wo die Hoffnung neu entflammt
Einmal im Monat treffen sich Menschen mit „aussichtslosen Anliegen“ in der Kirche St. Marien.
Im Pfarrsaal der Gemeinde St. Marien riecht es heimelig. Der Geruch eines deftigen Eintopfs vermischt sich mit dem Duft von heißem Kaffee. Am Tisch sitzen Menschen, die — so drückt es Pastoralreferent Werner Kleine aus — „einen Knubbel auf der Seele“ haben. Zur Wallfahrt für Hoffnungslose, zu der die Citykirche immer am 28. Tag des Monats einlädt, kann jeder kommen, der sich in einer schweren oder aussichtslosen Situation sieht.
Das ging Brigitte Hüßmann so. Die 75-Jährige kommt seit vier Jahren zu dem offenen Treff, bei dem gemeinsam gegessen, geredet, gebetet und gesungen wird. „Ich habe den Tod meiner Mutter nicht verkraftet. Wir hatten ein sehr enges Verhältnis“, berichtet Hüßmann. Die Gruppe gibt ihr Halt, wie sie sagt. Sie ist froh, sogar „stolz“, sagt sie, dieses Mal wieder dabei zu sein, nachdem sie das letzte Mal krank gefehlt hat. „Ich war aber in Gedanken hier“, sagt sie und grinst spitzbübisch: „Am 28. klingelt es bei mir.“
Warum der 28.? Am 28. Oktober hat der weniger bekannte Apostel Judas Thaddäus seinen Gedenktag. Bei jedem Treffen schicken die meist sechs bis acht Teilnehmer ihre Gebete in Richtung des Märtyrers. „Lass meinen Geist nicht in düstere Gedanken versinken. Lass nicht zu, dass Unruhe, Kleinmut, Misstrauen, Verzweiflung sich meiner Seele bemächtigen.“ Das Gebet sprechen die Teilnehmer laut mit.
Auch Elisabeth Arnolds (Name von der Redaktion geändert) sucht seit einem Jahr nach Kraft in der Wallfahrt. „Auch wenn ich mich vor dem Termin schlecht fühle und keine Lust habe — danach geht es mir immer besser“, sagt die 53-Jährige, die sich freuen würde, bei dem Treffen mal wieder mehr Gesichter zu sehen. Sie findet es schön, hier mit jemandem sprechen zu können. Einen Anlass, warum sie zu den „Hoffnungslosen“ zugestoßen ist, habe es nicht gegeben, sagt Arnolds und wechselt das Thema. Sie habe in einem „Sozialcafé“ von dem Angebot gehört.
Gemeindereferentin Angela Gotzhein sagt: „Wir kümmern uns besonders um Menschen am Rande der Gesellschaft.“ Hintergründe seien ganz verschieden. Zu der Thaddäus-Wallfahrt kommen sowohl Wohnungslose, Suchtkranke und Prostituierte als auch Menschen, die einfach nur einsam sind. Mindestens zwei Seelsorger sind immer vor Ort. Manchmal tauschen sich die Teilnehmer in der Gruppe aus, manchmal benötigen die Teilnehmer auch ein Einzelgespräch. In denen versuchen die Gemeindemitglieder auch an weitere Ansprechpartner wie etwa die Schuldnerberatung oder eine Suchthilfe zu vermitteln, um den Problemen des Einzelnen Herr zu werden.
Werner Kleine hat die Idee der Thaddäus-Wallfahrt aus Mexiko mitgebracht. Dort pilgern am Gedenktag oft hunderte von Menschen zu den Kirchen. „Da fiel mir ein, dass wir ja auch in der St.-Marien-Kirche eine Judas Thaddäus-Statue haben.“ Bei der bergischen Neuauflage kommen die „Pilger“ maximal aus Remscheid. Seit dem 28. Februar 2014 ist der Termin nur einmal ausgefallen. Ein Zeichen der Beständigkeit.
Das Mittagessen ist vorbei, die „Hoffnungslosen“ gehen in die Kirche. In einem kleinen Stuhlkreis um die Thaddäus-Statue lauschen sie den Worten von Diakon Ralf Engelbert. Es wird gebetet und gesungen. Manche Teilnehmer schließen die Augen. Eine tiefe Ruhe kehrt ein. Am Ende geht jeder einmal einzeln nach vorne und entzündet eine Kerze. Auch ein Sinnbild der Hoffnung. Es zeigt: Da brennt noch ein Licht. Angela Gotzheim findet, dass der Wallfahrtsname eigentlich nicht ganz passt. Sie sagt: „Wer keine Hoffnung hat, kommt nicht hier hin.“