Reisen „Auf dem Gletscher wird man demütig vor der Natur“
Holger Redecker hat bereits 70 Länder bereist und viele Berge bestiegen. Jetzt war er auf einem 4000er in Kirgisistan.
Holger Redecker hat schon viel von der Welt gesehen. Der 50-jährige Wuppertaler ist als Architekt bei Brückenbauprojekten quer über den Globus im Einsatz und hat privat als Bergsteiger in den vergangenen 30 Jahren auch schon zahlreiche bekannte Gipfel von nahem betrachtet. In 70 Ländern war er bereits, hat den Mount Everest gesehen und auch viele hohe Berge selbst bestiegen, darunter mehrere Fünf- und Sechstausender. Höchster Gipfel war der Ojos del Salado in Chile. Der zweithöchste Berg der Anden misst über 6900 Meter. Redecker hält dabei allerdings nach Gipfeln Ausschau, die ohne Kletterei in der Steilwand zu besteigen sind. „Ich bin kein Profi“, betont der 50-Jährige. Einmal im Jahr nimmt er sich eine große Tour vor. Doch welche Route kann einen so erfahrenen Bergsteiger überhaupt noch reizen?
Normalerweise schnürt Redecker mit Freunden die Bergstiefel. Gemeinsam hatten sie für diesen Sommer auch schon Afrika als Ziel im Kopf. Doch dann hätten seine Freunde aus Zeitgründen absagen müssen. Redecker wollte trotzdem losziehen – und schloss sich einer Reisegruppe an, die den Engiltschek-Gletscher in Kirgisistan besteigen wollte. „Das ist sehr abgelegen, total vereist und es gibt sehr schöne Gipfel dort“, sagt Redecker. Die bis zu 600 Meter dicke Eisplatte erstreckt sich über 70 Kilometer. Die Tour startet am Rand des Gletschers auf etwa 2500 Metern Höhe und führt etwa zehn Tage lang bis zum oberen Rand auf gut 4500 Metern Höhe. Rundherum erstrecken sich im Länderdreieck von Kirgisistan, Kasachstan und China Gipfel wie der Khan Tengri mit 7000 Metern und der Pobeda mit 7400 Metern Höhe. Er selbst habe sich einen 5000er-Gipfel ausgesucht, erzählt Redecker – doch dass sich solche Ziele nicht immer verwirklichen lassen, sollte der Bergsteiger auf seiner Tour noch erfahren.
Ohne Bergführer ist die Routensuche lebensgefährlich
Nach einer kurzen Besichtigung der Hauptstadt Karakol ging es für die siebenköpfige Bergsteigergruppe mit Bergführer und ein paar Trägern mit dem Jeep in die Berge. Am Fuß des Gletschers begann die Tour. Das hieß: sechs bis acht Stunden täglich mit Steigeisen über den Gletscher steigen. Die Routensuche sei ohne Bergführer lebensgefährlich, sagt Redecker. Der Gletscher sei ständig in Bewegung, ein Sturz in eine Spalte drohe. Das hat Redecker auf einer anderen Bergtour sogar schon selbst erlebt. „Zum Glück war ich angeseilt“, sagt er. Das Wetter habe sich wechselhaft gezeigt. Bei Sonne habe man bei gut 20 Grad im T-Shirt laufen können, bei Regen oder Schnee sei Pause angesagt gewesen. „Nachts war es unter 0 Grad“, sagt Redecker. Da habe man sich im Zelt warm anziehen müssen. Nachdem es manches Mal geschneit habe, sei wegen der Lawinengefahr Vorsicht angesagt gewesen.
Der Engiltschek-Gletscher zeigte sich anfangs nicht so weiß-grau wie man es von vielen Gletschern kennt, sondern matschig-braun. Durch die hohe Fließgeschwindigkeit ziehe er viel Geröll und Erde von den Berghängen mit sich, erklärt Redecker. Den Klimawandel könne man an den Berghängen übrigens gut erkennen. Ein Farbwechsel am Hang zeige, wie hoch der Gletscher mal gewesen sei. „Der war mal bestimmt 50 Meter dicker“, sagt Redecker. Während der Tour gab es Natur pur zu sehen. „Edelweiß wächst da wie Unkraut“, sagt Redecker. Es gibt einen See mit kleinen Eisbergen zu sehen, der übrigens einmal im Jahr im September komplett abfließe und sich über das Tal ergieße. Aus dem Nichts tauche dann eine Wiese in der Gletscherlandschaft auf – ein guter Platz für ein Bergsteiger-Camp und eine Forschungsstation. Und im Hintergrund ergebe sich immer wieder der Blick auf mächtige Berge, deren schneebedeckte Gipfel sich über 7000 Meter hoch erheben.
„Man wird demütig vor der Natur“, ist Redeckers Erfahrung. Seine Bergtouren bieten ihm großartige Naturerlebnisse, euphorische Momente, manchmal aber auch Strapazen. „Hinterher ist es schön, wieder in der Zivilisation zurück zu sein, auf dem Sofa sitzen zu können, ein Bier und gutes Essen genießen zu können“, sagt Redecker.
Als Bergsteiger sei man in diesen Regionen immer auch Grenzgänger – und muss manchmal zurückstecken. Den 5000er-Gipfel habe er wegen schlechten Wetters weglassen müssen, sagt Redecker. Ein Abenteuer sei die Tour trotzdem gewesen – nicht zuletzt auch wegen des Hubschrauber-Flugs in dünner Luft vom oberen Rand des Gletschers bis zum Anfang, bei dem sich ein tolles Panorama geboten habe.
Zehn Tage ohne Handynetz veränderten die Aufmerksamkeit, ist Redeckers Erfahrung. „Man bekommt einen ganzen anderen Kontakt zu den Mitreisenden, wenn man nicht ständig abgelenkt ist“, sagt er. Und die Menschen, denen er begegne, seien fast immer freundlich. Bei der nächsten Bergtour hofft Redecker, dass seine Freunde dann wieder mit dabei sind: „Es gibt noch viele Berge, man ist nie fertig.“