Der 26. April 1925 zählt zu den Daten deutscher Geschichte, deren Bedeutung sich erst auf den zweiten Blick erschließt. An diesem Tag wurde mit der Wahl des Herzensmonarchisten Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten mitten in der relativ stabilen Phase der Weimarer Republik ihr späteres Ende eingeleitet. Sein Gegner im zweiten Wahlgang (der erste Durchgang hatte keinem der zahlreichen Kandidaten die erforderliche absolute Mehrheit gebracht) war mit Wilhelm Marx ein Politiker der Zentrumspartei aus Elberfeld, der von 1923 bis 1924 sowie 1926 bis 1928 für insgesamt 38 Monate der Reichskanzler mit der längsten Amtszeit der Weimarer Republik war, und dies an der Spitze wechselnder Minderheitenregierungen. Die Präsidentschaftswahlen von 1925 waren notwendig geworden, weil der bisherige Amtsinhaber Friedrich Ebert völlig überraschend wenige Tage zuvor an einer verschleppten Bauchfellentzündung verstorben war.
Die Nominierung des rheinischen Katholiken Marx mit Unterstützung der SPD war eine handfeste Überraschung, folgte aber der Prognose, dass sich nur ein Vertreter des bürgerlichen Lagers Chancen auf den Wahlsieg würde ausrechnen können. Als am entscheidenden Tag die beiden Gegner gegeneinander antraten, standen sich zwei Lager gegenüber, an deren Ausrichtung sich die politischen Geister der Republik schieden: der prorepublikanische Volksblock aus SPD, DDP und Zentrum mit dem gemeinsamen Kompromisskandidaten Wilhelm Marx und der konservative, tendenziell republikfeindliche Reichsblock. So lautete der Titel eines Konglomerates aus der erzreaktionären Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der rechtsliberalen DVP, der Bayrischen Volkspartei und rechter Splittergruppen wie dem Bayerischen Bauernbund, der Wirtschaftspartei und der Deutsch-Hannoverschen Partei.
Für dieses brisante Bündnis trat Paul von Hindenburg als Kandidat an. Mit dem jungen Ernst Thälmann hatte die KPD einen absoluten Außenseiter nominiert, der es schließlich auf 6,4 Prozent der abgegebenen Stimmen brachte. Paul von Hindenburg siegte am 26. April im zweiten Wahlgang, als er in der Stichwahl auf 48,3 Prozent der Stimmen kam und damit Marx (45 Prozent) knapp übertraf. Das hatte nicht zuletzt daran gelegen, dass dem eher liberalen, um politischen Ausgleich bemühten Katholiken und Mitglied im republikanischen Wehrverband Reichsbanner die Stimmen des rechten Flügels seiner eigenen Partei unter dem ultrarechten Franz von Papen versagt blieben. Dieser reaktionäre Sauerländer sollte später noch im Einklang mit dem Reichspräsidenten eine entscheidend destruktive Rolle im Kampf um die Demokratie spielen.
Hindenburg galt Mitte der 1920er Jahre als die Integrationsfigur konservativer und republikfeindlicher Kreise in der Gesellschaft. Der zähe Mythos eines „Siegers von Tannenberg“ verlieh ihm Ansehen im nationalistischen Lager. Hindenburg war zugleich einer der „Erfinder“ der wirkungsmächtigsten Verschwörungstheorie der Zeit, wonach die deutsche Niederlage im Weltkrieg „von innen“, also von Sozialdemokraten und anderen Linken, herbeigeführt worden sei, gleichsam wie ein „Dolchstoß“ gegen die Heeresleitung. Die Dolchstoßlegende wurde so zur Geschichtserzählung, welche den Republikfeinden die Legitimation bis hin zum politischen Mord lieferte. Sein liberalkonservativer Gegner Marx hatte als Minderheitenkanzler in den Jahren zuvor eine bewegte Amtszeit hinter sich gebracht: Ruhrkampf, Separatismus, militärischer Ausnahmezustand, Hyperinflation, Eigenpolitik der Reichswehr, Regelung der Reparationen, Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten.
Paul von Hindenburg wurde also 1925 deutscher Reichspräsident: Eine folgenreiche Weichenstellung für den kommenden Weimarer Untergang und die Machtübertragung an die Nazis. 1932 wurde er erneut im Amt bestätigt, das er bis zu seinem Tode am 2. August 1934 ausübte. Dieses Amt des Reichspräsidenten war in der Weimarer Verfassung mit zwei wichtigen Machtinstrumenten ausgestattet: den berüchtigten Paragraphen 48 (aktiver Eingriff in die Gesetzgebung qua Notverordnung) und 25 (Recht zur Auflösung des Reichstages). Von beiden antidemokratischen Möglichkeiten machte Hindenburg in der Endphase der Weimarer Republik ausgiebig Gebrauch. So wurde der überzeugte Monarchist zur Schlüsselfigur der Machtübertragung an die Nazis, als er seine anfängliche Ablehnung gegenüber Hitler aufgab, ihn zum Reichskanzler ernannte, den Reichstag auflöste und eine Reihe repressiver Notverordnungen unterzeichnete. Er wurde damit zum Legitimationsbeschaffer der Nazis. Als der greise Hindenburg am 2. August 1934 starb, wurde Wirklichkeit, was Hitlers Kabinett bereits am Tage zuvor qua Gesetz beschlossen hatte: die Zusammenlegung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten für den Fall von dessen Ableben.
Wilhelm Marx, der insgesamt zehn Jahre in Elberfeld lebte und arbeitete, wurde später einmal als „idealtypischer Zentrumspolitiker“ bezeichnet: ein pflichtbewusster Verwalter und Vermittler im Rahmen seiner politischen Möglichkeiten. Die Nazizeit verbrachte er dann vollständig zurückgezogen und politisch abstinent in Bonn. Eine deutsche Biografie der politischen Mitte.