Was glauben Sie denn? Wuppertaler Kirchenkolumne: „Prüft alles und behaltet das Gute!“
Wuppertal · Das Wort „prüfen“ hat Hochkonjunktur. Da steht die Demokratie auf dem Prüfstand. Böllerverbote sollen geprüft werden.
Eine Rückweisung syrischer Geflüchteter in ihre Heimat wird eilig geprüft. Ob die Sicherheitslage auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg ausreichend war, wird geprüft. Fehler und Versagen werden geprüft – und immer wieder: Leistungen. Unsere Kirche prüft, wie es für sie weitergehen kann…
In unserer Evangelischen Kirche steht über jedem neuen Jahr ein neues biblisches Losungswort, die sogenannte „Jahreslosung“. Für 2025 kommt sie aus dem ersten Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki, uns überliefert in der Bibel. Da ruft er seine Mitchristen auf: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ (1. Thessalonicher 5,21).
Um ein anderes „Prüfen“ geht es hier. Es geht um die Mündigkeit der Christen, sich selber ein Urteil zu bilden. Um den weiten Horizont, aufgeschlossen und zugleich wachsam alles zu betrachten. Um die Bereitschaft, Haltung zu beziehen. Und das nicht aus der leeren Luft heraus und ins Blaue hinein, sondern mit einem klaren Kompass: Das Gute behaltet!
Was gut ist, bleibt dabei keine Sache einer willkürlichen Festlegung. Das Gute, das ist die Fröhlichkeit, die sich dem Vertrauen und der Hoffnung auf Gott verdankt. Und der Erkenntnis, für wie vieles wir dankbar sein können, das uns geschenkt wird, wie die Liebe. Das Gute, das ist die Erfahrung wahrhaftiger Gemeinschaft. Das ist das Hören auf den Gott des Friedens, so der alte und doch aktuelle Brief des Paulus. Was gut ist, das bemisst sich nach den Maßstäben von Jesus Christus: Wo werden Verzweifelte getröstet? Wo werden die Schwachen gestärkt – seelisch, sozial, politisch? Wo siegt die Vergebung statt der Vergeltung? Wo widersteht man der Versuchung der Selbstsucht und der Suche nach dem eigenen Vorteil? Wo wird auf das Potenzial der Liebe und der Solidarität gesetzt? Wo wird der andere Mensch geachtet als Ebenbild Gottes, so wie man selbst?
Das Gute, das ist die innere Freiheit, die daraus erwächst, dass das Leben mehr ist – dass es Sinn hat durch die Liebe Gottes – oder, wenn man an Gott nicht glaubt, durch die Liebe und die Gemeinschaft, die über uns selbst hinaus geht.
Der Fokus ist dabei erfreulich anders als in vielen Medienberichten: Der Blick wird auf das Gute gerichtet. Auf die Kraft, die darin liegt. Wie berührend und machtvoll ist so ein Zeichen wie das Blumenmeer auf dem Gelände des Weihnachtsmarktes in Magdeburg. Wie beeindruckte es uns, dass die im Jahr 2022 verstorbene Mevlüde Genc sich in Solingen nach dem tödlichen Brandanschlag 1993 auf ihre Familie für Versöhnung einsetzte. Welche Macht kann ein Segen am Krankenbett entfalten. Ein Gottesdienst im Gefängnis. Oder auch ein Kirchenasyl. Welche kleinen (oder in Wahrheit großen??) Wunder an Verständigung bewirkt ein Stadtteilprojekt zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen, die einander erzählen, was sie an ihrem Glauben trägt. Wer das Gute in den Blick nimmt, fragt, welcher gute Tropfen auf den heißen Stein zum Regen werden will – und mit wem.
Prüft alles – das Gute behaltet. Da ist Haltung gefragt. Im anstehenden Wahlkampf zur Bundestagswahl ganz akut, wo gegenseitiger Respekt und Fairness tatsächlich auf dem Prüfstand stehen. Aber es fängt bei uns selber an. Auch in unserer Kirche. Es gilt, das Gute im Sinne Gottes nicht zu verwechseln mit dem eigenen Selbsterhalt und dem Beifall anderer. Wo feiern wir den Gott der Liebe und des Friedens mit dem, was wir leben und tun? Wer das Gute sucht, so Paulus, meidet das Böse. Geht in den Widerstand, wo es immer gängiger wird, den eigenen Vorteil und den eigenen Wert unverblümt und schamlos über alles und alle zu stellen – das eigene Volk, den eigenen Konzern, die eigene Macht.
„Prüft“, sagt Paulus. Mehrzahl. Das „wir“ ist gefragt. Es geht darum, im Gespräch gemeinsam zu prüfen, was das Gute ist – nicht beliebig, sondern mit dem Kompass. Das bedeutet: Eine respektvolle, christlich gesprochen „geschwisterliche“ Diskussionskultur – das allein ist schon ein Gewinn. Die Jahreslosung macht Mut zur Mündigkeit und zum weiten Horizont. Nehmt das Gute in den Blick. Traut ihm die Kraft zu, die es hat. Zeigt Haltung. In diesem Sinn wünsche ich ein „gutes“ neues Jahr!