Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Das ist nicht lustig!

Wuppertal · Am Aschermittwoch zeigen sich kulturelle Schattenseiten.

Max Christian Graeff.

Foto: C. Paravicini

Hören Sie auch dieses leise Knistern, mit dem sich die Sprossen und Triebe aus dem Dunkel der Beete an die Lüfte wühlen, ungeachtet der Fröste, die noch kommen mögen? Man muss es halt versuchen, sagen sie sich, muss das Wagnis auf sich nehmen, ob als blühfreudiger Krokus, neugieriges Rotkehlchen oder schlichter Mensch. An manchen Hängen des Tals entfaltet sich schon dies und jenes; der Arrenberger Schattengarten hängt noch etwas hinterher. Mir passt es gut, denn ich bleibe gerne noch etwas im Beet, bin noch nicht bereit für den heutigen, doch eigentlich längst ganzjährigen „politischen Aschermittwoch“, dieses pseudokarnevalistische Festival der Rechthabenden und Selbstmeinenden aller Couleur. Historisch lässt es sich ab 1919 als Forum bayerischer Bauernparteien orten, bis es ab 1932 von der NSDAP vereinnahmt wurde. 1953 durch Strauß und die CSU reanimiert, wurde die Veranstaltung schnell wieder beliebt, und in den 60ern stiegen auch andere Parteien ein.

Als Kind vor dem Radio fand ich dieses Schwingen der Wortschwerter ohne Schaum- oder Schambremse noch amüsant, während Mutter zu erklären versuchte, dass das doch alles Satire sei und diese wie die Kunst fast alles dürfe. Doch die schützende Täuschung wirkte nicht lange; seither höre ich den eskalierenden Schwall der Selbstgefälligkeiten wider besseres Wissen nur noch mit Abscheu. Zur selben Zeit befindet sich das weltgrößte Kreuzfahrtschiff als gigantische Pappnase unserer Untergangskostümierung auf Jungfernfahrt und sämtliche Erkenntnisse des Frühjahrs 2020, in dem der Coronakarneval zum Superspreader wurde, stehen nicht mehr zur Disposition. „Word is virus“ zitierte ich damals William S. Burroughs, auf diskursive Lernprozesse hoffend, noch bevor die Schwurbeleien aller Realitätsflüchtenden mit den Inzidenzen durch die Decke gingen wie der DAX.

Die Drauflosbehauptung als Flucht vor der Ratlosigkeit ist erst recht in diesen vier Jahren der Theorie gebliebenen Besinnungschancen epidemisch geworden. Meine indifferente Hoffnung auf kulturelle Lerneffekte, Fortschritte, neue Formen und erneuerte Beachtung der Künste als gesellschaftliche Therapeutika zog sich hinter den Kriegsdonner aller Seiten, die Klimanegation und das Anschwellen menschenfeindlicher Grund- und Obertöne zurück. Ist jedwede Gelegenheit zum Aufbruch in neue kulturelle Bedingungen für Inhalte und Arbeit tatsächlich verdampft – oder ist es einfach nur der ermüdend graue Februar, der mich derzeit von der real existierenden Dynamik und täglichen Selbsterfindung der Künste trennt?

Die Demonstrationen gegen Nazis mancher Art machen Mut, auch wenn selbst an deren Rändern manchmal die schnelle Behauptung vor der komplexen Sachlage steht. Meine eigenen Formulierungen zu den großen Themen stecken noch im Inneren fest wie die Krokusse am Arrenberg; sie wagen sich nur zaghaft heraus. Der schwelende Antisemitismus, die menschlichen Katastrophen nah und fern, die polarisierenden Krisen der Diversität, das applausheischende „Sau rauslassen“ im globalen Superwahljahr – all das treibt mich am Aschermittwoch ganz ungläubig ins Beet oder Bett zurück.

Auch in den Kulturszenen leben die Ungunst und die gewalttätige Ausblendung, ob mit prominenten Ausladungen und Boykotten oder auch im lokalen Miniaturscharmützel: Kürzlich las ich auf Facebook von den „90er Jahren, als die freie Wuppertaler Szene ohne Netzwerk sich noch selbst gehörte“. Der Impuls, hier darüber zu schreiben, wich der Entscheidung, über einen solchen Quallenpfurz einfach zu schweigen.

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