Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Den Menschen im Miteinander dienen

Wuppertal · Kunst als Dialogprinzip

 Otto Zech ist Künstler und Pädagoge.

Otto Zech ist Künstler und Pädagoge.

Foto: Susanne Hoffmann

Wenn mich jemand fragt, ob ich mein künstlerisches Schaffen auf drei Worte in einem Arbeitstitel zusammenfassen kann, dann wäre es sicher dieser: „Kunst als Dialogprinzip“. Als solches hat die Kunst mein bisheriges Leben geprägt und so habe ich sie verwendet. Schreibt man der Kunst zu, sie möge zweckfrei sein, so habe ich sie dennoch immer als etwas empfunden, das eine sinnstiftende Aufgabe übernehmen kann: den Menschen im Miteinander zu dienen. Sie war und ist mein Brückenbauer in vielen Projekten.

In dem von mir über Jahrzehnte geleiteten Atelier mit Menschen mit Behinderung war sie ein wichtiges Sprachrohr in die Gesellschaft, ein Aufzeigen von Ressourcen und Möglichkeiten, neben dem verbreiteten – dieser Personengruppe ausschließlich zugeordneten – Mangeldenken und der Formulierung einer Randgruppe. Hier zeigte sich Tiefe und Stärke, die gerne von vielen Menschen von außerhalb in der Atmosphäre des Ateliers aufgesogen wurde.

Aktuell arbeite ich mit Kindern in einer besonderen Situation außerhalb ihrer Ursprungsfamilie. In diesem Projekt setzt die Kunst der Ohnmacht der im Feld ihrer Betroffenheit sprachlosen Kinder etwas entgegen. Sie verleiht ihnen wieder die Kraft, zu gestalten und ermöglicht ihnen, diese überhaupt zu spüren. In einer aus diesem Projekt heraus entstandenen Ausstellung im Landtag von Nordrhein-Westfalen sah man eine kleine Leinwand in einem Einkaufswagen, auf der die Frage gestellt wurde: „Kann man Liebe im Supermarkt kaufen?“ und eine andere, die festhielt: „Liebe ist alles“.

Das Prinzip des Dialogs wirft für mich immer die Fragen zwischen Endlichkeit und Unendlichkeit auf. Angelehnt an eine Formulierung von Christian Boltanski, habe ich mich immer mit dem beschäftigt, was zwischen den Eckdaten unseres Lebens ist: Zwischen Geburt und Tod steht da oft dieser ungeschliffene Bindestrich, den ich versuche zu entzerren. Ich möchte ihm in Projekten Ausdruck verleihen, damit die Kunst Wege zeichnen und verbinden kann.

Diesen grenzübergreifenden Gedanken, mit der Kunst Netzwerke und Gemeinsamkeit zu bilden, verfolge ich mit dem einst in Wuppertal ansässigen und in Berlin lebenden Multimediakünstler Jörg Oswald seit über zehn Jahren an der Grenze Deutschland-Österreich. Zusammen mit den beiden Grenzgemeinden und einem gemeinsamen Verein lassen wir uns durch den „Bindestrich“ zum Bauen der Verbindung herausfordern. Dies in einer Zeit, in der alle vernetzt sind, aber der Begriff der Freundschaft wieder auf seinen Inhalt tief geprüft werden darf. Mein aktuelles Ausstellungsprojekt befragt den Bindestrich in besonderer Weise. Ist er die Verbindung zwischen den Eckdaten unseres Lebens, so kann die Kunst helfen, sich diesem Moment der Endlichkeit zu stellen und ihn vom verdrängten Muss ins Leben holen.

In meinen Werken stelle ich mich der Frage nach der Transzendenz: Was geht über das hinaus, was „hier“ ist, was ich „hier“ bin? Was übersteigt mein irdisches Sein? Gibt es einen Vorhang, hinter den ich trete oder eine Membran, die ewig etwas auf beide Seiten lässt? Wie ordnet mich was in die Zeit ein, bin ich im Strom des Linearen oder in einer zyklischen Wiederkehr oder beides? Was ändert sich auf der Welt, wenn ein Mensch kommt oder einer geht? Philosophisches Fragen, bei dem die Leinwand mir hilft, einen möglichen Raum für Überlegungen zu bilden.

Derzeit sind meine Arbeiten an einem ungewöhnlichen Ort zu sehen: im Bestattungsinstitut Edith Sonnenschein. Dort zeigt eine Werkreihe meine Spurensuche in der Betrachtung des Anfangs und des Endes allen Seins. Ich blicke auf die verschiedenen Aspekte von Auflösung und vielleicht Erlösung, vor allem aber auf etwas, das der Ursprung meiner Arbeit ist, die Stille und das Nichts.