Freies Netzwerk Kultur Wuppertaler Kulturkolumne: Es geht um das Zusammenleben
Wuppertal · Vom Besuch zweier Kunstausstellungen in Bonn.
Am ersten Herbstferientag ging es für mich mit der ganzen Familie nach Bonn in die Bundeskunsthalle. Die Ausstellung „Alles auf einmal. Die Postmoderne, 1967-1992“ hatte dort einen Tag zuvor eröffnet. Eine Reise in meine Kindheit und Jugend führte mich in diese Rückschau, die laut den Ausstellungsmachern „ das Heute verständlich werden lässt … da aktuelle Konflikte und Kulturkämpfe in dieser Zeit ihren Anfang nahmen“.
Die Realität durch den Besuch von Kunstausstellungen wahrzunehmen, ist eine Option, für die ich intensiv werben möchte, denn dadurch wird einem bewusst, dass alle drängenden Fragen unserer Zeit gleichzeitig auf der Tagesordnung stehen. In Ausstellungen, die gut gemacht sind, erkennt man darüber hinaus auch die Aufgabe von Künstlerinnen und Künstlern, für das Ungesehene und Übersehene einzutreten und dabei bis in die letzte Nische zu blicken. Belege für diese widerständige Kraft finden sich in der erwähnten Ausstellung in allen Bereichen, in der Kunst, der Architektur, im Design und der Philosophie, in Film und Mode. Die Postmoderne, die die Struktur der zeitlich vorgelagerten Moderne ablösen wollte, wirkt aus heutiger Sicht ziemlich überdreht. Mit spektakulären Beispielen erzählt die Ausstellung von einer Entfesselung in allen Lebensbereichen, die ich – in dieser Dichte zusammengebracht und präsentiert – erst jetzt erkenne.
Nach etwa einer Stunde voller verklärter Erinnerungen an die Zeit, in der ich aufgewachsen bin, rette ich mich in die gleichzeitig laufende, dabei ganz andere Ausstellung im gleichen Gebäude: „Wer wir sind – Fragen an ein Einwanderungsland“. Eine Ausstellung, die schon seit dem 26. Mai dieses Jahres darüber Auskunft gibt, wie unsere Gesellschaft, als eine Gesellschaft der Vielen, sich durch Migration verändert. Ich werde über die Geschichte der Migration aufschlussreich informiert und an das grundlegende Recht, Rechte zu haben erinnert. Die Frage, wie das „Wir“ in einer Gesellschaft entsteht, wird mit Hilfe vieler Exponate, Texte, Filme und Interviews gestellt, und es wird ein genauer Blick auf die Strukturen in unserer Gesellschaft geworfen.
Nach der Postmoderne ist
vor der Postnormale
Die Frage, wie wir zusammenleben wollen, ist in beiden Ausstellungen zentral, und in der Kombination der Besuche wird wieder einmal klar, dass wir jetzt nicht mehr in der Postmoderne leben. Seit einiger Zeit nenne ich die Zeit in der wir leben, postnormal, zuallererst gekennzeichnet durch die zentrale Aufgabe, die unübersehbar vor uns liegt: Das selbstverursachte Chaos für nachfolgende Generationen in Ordnung zu bringen. Dabei unter anderem auch den virtuellen Raum als Archiv und Echokammer zu nutzen, ist von der Wirkung her gut gedacht, solange wir der Künstlichen Intelligenz nicht das gedankenlose Kombinieren überlassen. Zugleich sollten wir dem egoistischen, moralisch sowie politisch überlebten Individualismus der Postmoderne die kalte Schulter zeigen und lieber eine solidarische, dynamische und vielfältige Gegenwart lustvoll anerkennen.
Kunstausstellungen zu besuchen, hilft mir, wie gesagt, dabei. So fällt es mir leichter, die empfundenen Ansichten aus vergangenen Epochen zu erkennen, einzuordnen und auf die Gegenwart zu übertragen. Die überraschende Kombination zweier völlig unterschiedlicher Ausstellungen in Bonn als schönstes Ferienerlebnis ist noch genau vier Tage möglich. Probieren Sie es aus: Mit der Bahn non-stop von der Kunststation Vohwinkel bis zur Bundeskunsthalle/ UN Campus sind es nur 79 Minuten.