Wuppertaler Libyer schöpft neue Hoffnung für sein Land
Muftah al-Teira lebt seit acht Jahren in Elberfeld. Derzeit staunt er in seiner Heimatstadt Bengasi über eine völlig neue Welt.
Wuppertal. Wie in Trance läuft Muftah al-Teira (33) durch die Straßen seiner Heimatstadt Bengasi. Der Libyer, der seit acht Jahren in Wuppertal lebt, raucht eine Zigarette nach der anderen, seine Augen strahlen. „Alles ist anders und besser hier, sogar die Luft, die Sonne und der Mond“, sagt er. Die Erinnerung an die Razzien, Verhöre und Schläge, die ihn damals dazu brachten, seine Heimat zu verlassen, ist noch nicht verblasst.
Einer seiner sieben Brüder hatte sich 1996 der radikalen Kämpfenden Islamischen Vereinigung in Libyen (LIFG) angeschlossen, die Muammar al-Gaddafi stürzen wollte. Immer wieder wurde Muftah al-Teira zu Hause abgeholt und verhört — bis sein Bruder Mohammed 1999 zusammen mit anderen Mitgliedern der Gruppe am Strand von Bengasi erschossen wurde.
Muftah al-Teira
Aber Muftah al-Teira will jetzt nach vorne schauen. Vor einem Hotel in Bengasi steht eine kleine Gruppe von Demonstranten mit der alten libyschen Fahne, die zum Banner der Aufständischen gegen Gaddafi geworden ist. Al-Teira stellt sich zu ihnen. Er kann es immer noch nicht fassen, dass die Menschen hier jetzt frei ihre Meinung sagen können — so wie in Deutschland, seiner zweiten Heimat. „Früher durfte man in Libyen den Mund nur beim Zahnarzt aufmachen“, sagt er.
Al-Teira ist erst seit einigen Tagen in Bengasi. Die Wochen zuvor, die er in seiner kleinen Wohnung in Elberfeld verbrachte, waren für ihn eine seelische Achterbahnfahrt. Erst freute er sich, als der Aufstand begann. Dann, einen Monat später, kam die Nachricht vom Tod seines Bruders Nusair. Er hatte sich den Rebellen angeschlossen und wurde von den Gaddafi-Truppen getötet, die bei ihrem Vormarsch am 19. März den Westrand von Bengasi erreicht hatten.
Zwei Tage war al-Teira unterwegs, um endlich seine Eltern wiederzusehen, die er seit seiner Flucht nach Deutschland nicht mehr getroffen hatte. Erst flog er nach Kairo, dann fuhr er mit dem Auto nach Ost-Libyen. Für ihn ist völlig offen, was die Zukunft bringt. Doch die Brücke nach Deutschland will er auf keinen Fall abreißen lassen und sich bald eine neue Stelle suchen, „auch damit mein Antrag auf den deutschen Pass bewilligt wird“. Deutschland sei seine zweite Heimat geworden, sagt er.
Muftha al-Teira hat noch zwei weitere Brüder, die in Deutschland leben. Hamad war noch zu DDR-Zeiten zum Studium nach Dresden gegangen und hat eine Deutsche geheiratet. Marei ließ sich später in Mannheim nieder und ist inzwischen Mitglied einer libyschen Menschenrechtsgruppe.
„Als sich unser Bruder Mohammed damals der Kämpfenden Gruppe anschloss, wusste zunächst niemand in der Familie davon, denn schließlich war das eine Geheimorganisation, über die man nicht sprechen durfte“, sagt Muftah al-Teira. Trotzdem sei die ganze Familie bestraft worden. Er, sein älterer Bruder Suleiman (37) und Marei seien mehrfach verhört und misshandelt worden. Nusair sei im Gefängnis gelandet, weil er den im Untergrund lebenden Bruder Mohammed getroffen und ihm Kleider gebracht habe. Von Mohammed ist der Familie nur ein Foto geblieben. Nun will die Familie seine Leiche suchen, die ihnen die Sicherheitskräfte 1999 nicht übergeben wollten.
Es bleibt die Frage, ob die militante Gruppe, der sich Mohammed al-Teira damals angeschlossen hatte, eine Terrororganisation ist, die von der gleichen menschenverachtenden Ideologie geleitet wird wie das Terrornetzwerk Al-Kaida von Osama bin Laden. Darüber rätseln bis heute Experten und Regierungsbeamte im Westen. Fragt man die libyschen Aufständischen, so bekommt man meist zu hören, die Organisation habe immer nur gegen Gaddafis Regime gekämpft und habe nichts mit den Visionen Bin Ladens von einem „Heiligen Krieg“ gegen den Westen zu tun. Gaddafi habe sie nur als Al-Kaida-Ableger abgestempelt, um sich gegenüber dem Westen als Partner im Kampf gegen den islamistischen Terror anzubiedern.