Corona-Krise Evelyn Miss: Heldin des Alltags trotz Krebserkrankung

Die Wuppertalerin näht Masken für ganze Schulklassen und unterhält Kinder während des Lockdowns mit Märchen-Videos.

Eine Heldin des Alltags: Evelyn Miss.

Foto: Fischer, Andreas H503840

Evelyn Miss ist eine starke Frau. Sie jonglierte mit drei Jobs gleichzeitig, arbeitete im Offenen Ganztag, gründete ein eigenes Nachhilfeinstitut und brachte Kindern und Erwachsenen Stricken und Häkeln bei. Nebenher half sie Flüchtlingsfamilien. Zwei Söhne hat die alleinerziehende Mutter auch. Rund um die Uhr, sieben Tage pro Woche war sie für andere da.

Dann bekam sie Brustkrebs. „Das habe ich als Erlösung empfunden – endlich konnte ich alles loslassen“, erzählt Evelyn Miss. „Seitdem fühle ich mich wie in Gottes Hängematte.“ Während sie vorher von einem Job zum nächsten hastete, um nach der Scheidung genügend Geld zu erwirtschaften, stellt sie nun fest, dass das Geld auch so reicht. Die 55-Jährige musste viel über sich ergehen lassen: wochenlange harte Chemotherapie, eine große Operation. Und immer noch sind nicht alle Krebszellen besiegt. Deshalb muss sie auch jetzt noch Tabletten einer Chemotherapie schlucken. Sie ist oft müde, schläft viel.

Podcast-Gruppe für Freunde
und Verwandte gegründet

Trotzdem schaut Evelyn Miss voller Zuversicht auf ihr Leben. Für Freunde, Verwandte und ehemalige Arbeitskollegen hat sie eine Podcast-Gruppe gegründet. Dort erzählt sie, wie es ihr gerade geht, ergänzt durch Fotos. Vor allem aber fragt sie dort um Hilfe: Wer könnte sie zum Arzt begleiten, ein bestimmtes Gericht kochen, im Haushalt anpacken? Es findet sich immer sofort jemand. 95 Teilnehmer hat die Liste inzwischen, erzählt Evelyn Miss dankbar.

Und obwohl es ihr selbst oft schlecht geht, hilft sie auch weiterhin anderen Menschen. Als der Lockdown kam, war es für die Krebskranke klar, dass sie zu Hause bleiben musste. Aber sie packte sofort ihre Nähmaschine aus und begann, Mundschutzmasken zu nähen. Erst für die eigene Familie, dann für Freundinnen, dann für die Familien der Freundinnen… „Ich sitze hier in meinem Gefängnis und freue mich, wenn ich helfen kann“, findet sie. Manche Abnehmer bezahlen sie für die Masken, anderen schenkt sie das wichtige Alltagsutensil. Stoffe hat sie teils in ihrem Vorrat, teils von Freunden. 1090 Masken hat sie bis heute abgegeben, alles sorgfältig in einer Datei dokumentiert. Eine Berliner Schulklasse bekam ebenso Masken wie die Alte Feuerwache. Für die Lehrer und Betreuer der Grundschule Schützenstraße fertigte sie einheitliche gestreifte Masken mit dem Aufnäher „Team Schützenstraße“. „Hier verstehen sich alle als Team, die Masken machen das sichtbar“, freut sich Grundschulleiterin Claudia Hoppius. Wenn jemand kommt, der dringend Masken braucht, lässt Evelyn Miss von ihrem Fenster aus ein Körbchen mit den Masken herab. So kann sie ohne Ansteckungsgefahr Waren austauschen.

Dann erfuhr sie, dass es einer Freundin nicht so gut ging mit drei Kindern im Home-Office. Also schnappte Evelyn Miss sich ein Märchenbuch und las per Videobotschaft Märchen vor. Dazu versuchte sie, sich passend zu verkleiden. Mal trägt sie in den Videos eine kunterbunte Perücke und wilde Schals, mal einen Sternenhut, mal einen Turban. „Das hatte ich aus der Verkleidungskiste für Karneval“, erzählt sie. Dort hat sie sogar noch eine Zögertracht aus dem Sauerland. Irgendwann stieg sie dann auf lustige Lieder um, meist von Frederik Vahle („Katzentatzentanz“). „Dann zog das immer weitere Kreise, die Frauen aus der Schulbetreuung fragten, ob sie die Links auch weiterleiten durften.“ Auf Youtube stellen wollte Evelyn Miss die Lieder aber nicht, sie sollen in einem privaten Umfeld bleiben. „Eigentlich hätte Evelyn Schauspielerin werden sollen. Sie macht das so toll, auch ein bisschen verrückt – das lieben die Kinder“, sagt Claudia Hoppius. Dann kam allerdings wieder eine „schlappe Phase“ und Evelyn Miss gönnte sich lieber Ruhe. Denn eines hat sie gelernt: Sie muss sich erst einmal um sich selbst kümmern.