Gesundheit WZ-Gesundheitskolumne: Von der Schmerzforschung für ein gesundes Leben lernen

Dr. Thomas Cegla über die Lernfähigkeit unseres Nervensystems und was man daraus für sein Leben lernen kann.

 Dr. Thomas Cegla, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal: Schmerztherapie, Klinik Bergisch Land, 4.5.2018

Dr. Thomas Cegla, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal: Schmerztherapie, Klinik Bergisch Land, 4.5.2018

Foto: Helios Universitätsklinikum/Michael Mutzberg

Schmerzempfindung und -verarbeitung lassen uns verstehen, wie unser Körper mit der Umwelt agiert und geben uns Hinweise, wie wir diese Erkenntnis zu unserem Wohl einsetzen können.

Spielt es eine Rolle, wie wir bewusst oder unbewusst lernen? Wenn es ums Auswendiglernen geht, dann geschieht dies durch Wiederholungen. Das Erinnern funktioniert auch dann gut, wenn es mit besonders starken Emotionen, negativen oder positiven, verbunden ist. Die Verarbeitung von Reizen und deren Auswirkungen auf unser zentrales Nervensystem und damit auf unseren gesamten Organismus, unterscheidet sich beim Lernen nicht von den Reizen, die Schmerzen verursachen.

Ein Reiz, der über das Nervensystem verarbeitet wird, setzt kurzfristige Prozesse in Gang. Wiederholte Reize über einen längeren Zeitraum und heftigste Reizimpulse sind in der Lage, Verarbeitungsprozesse zu verändern. Die für die Reizverarbeitung zuständigen Zellen im Rückenmarksbereich werden umprogrammiert und priorisieren Gelerntes.

Veränderung findet aber auch in den übergeordneten Regionen des Gehirns statt. Auf deren Oberfläche besteht eine Zuordnung zu unterschiedlichen Körperregionen. Eine Körperregion, die vermehrt beansprucht wird, bekommt eine größere Repräsentation.

Bei Schmerzen ist es nicht anders. Sind akute Schmerzen über eine lange Zeit besonders heftig, können sie unsere neuronale Struktur verändern und das Chronischsein kann erlernt werden. Wir sprechen von einem Schmerzgedächtnis. Am Nervenanfang steht ein Reiz, der eine Weiterleitung über den Nerv auslöst. Über Botenstoffe erfolgt die Reizübertragung auf die Nervenstrukturen des Rückenmarks und dort wiederum die Weiterleitung zu „alten“ Hirnstrukturen sowie die Verschaltung zur Gegenseite, bis dann das Großhirn erreicht wird.

Besonders interessant ist die Wirkung im sogenannten limbischen System, das für unsere Emotionen zuständig ist, denn wir beschreiben und empfinden Schmerzen auch emotional. Die Botenstoffe, die für diese emotionale Stabilisierung zuständig sind, benötigen auch die körpereigene Schmerzabwehr, die abwärts geschaltet die Schmerzweiterleitung hemmt. Eine Depression mit Botenstoffmangel macht anfälliger für chronischen Schmerz und chronischer Schmerz anfälliger für eine Depression.

Nicht jeder Schmerzreiz wird bewusst wahrgenommen. Die Vorstellung, dass ein regulierbares Tor für Reize, nach der sogenannte Gate-Control Theorie, auch geschlossen werden kann, ist sehr vereinfacht, aber hilfreich. Sie erklärt, warum Berührungsreize das Tor der Schmerzweiterleitung blockieren können und lindernd wirken. Das heißt, Streicheln hilft!

Was hilft uns aber noch, und sind wir auch in der Lage, Gelerntes vollständig zu vergessen? Dies ist in der Regel nicht vollständig möglich, aber ein Überschreiben der Hirnregion, das heißt eine Veränderung besonders durch Reize an anderen Stellen und eine andere Fokussierung bewirken, dass auch beim chronischen Schmerz deutliche Verbesserung und – theoretisch – Heilung möglich ist.

Es bleibt jedoch ein Restrisiko, dass die vergessene Fähigkeit des Nervensystems leichter wieder erinnert werden kann. Ist man zum Beispiel einen längeren Zeitraum nicht Fahrrad gefahren, so wird man es in einem relativ kurzen Zeitraum wieder erlernen.

Was kann empfohlen werden? Achtsamkeit ist gefragt! Welchen Reizen setzen wir uns wiederholt aus und wie beeinflussen wir die heutige Reizüberflutung? Wenn es uns möglich ist, herauszufiltern, was uns guttut, und wir uns dem häufiger aussetzen, dann hat Krankmachendes eine geringere Chance. Ein stabiles System erhöht die Widerstandskraft.

Alles, was unserem Körper und unserer Psyche guttut, stabilisiert unsere Gesundheit. Die körperlichen und psychischen Prozesse sind untrennbar miteinander verbunden. Dies erklärt die gute Wirkung von Entspannungsverfahren, Meditation, wie auch psychisch guttuender Bewegung, aber auch positiver sozialer Interaktion. Das ist gesundheitsstabilisierend und schützt uns vor chronischem Schmerz oder lindert diesen.

Dr. med. Dipl. oek. med. Thomas Cegla ist Chefarzt der Helios Schmerzklinik Wuppertal