Interview „Wir haben gute Chancen, die stärkste Kraft zu werden“

Die Spitzenkandidatin über ihren politischen Weg und die Ziele der Wuppertaler Grünen.

Yazgülü Zeybek ist die Spitzenkandidatin der Grünen im Kommunalwahlkampf.

Foto: WZ/Schwartz, Anna (as)

 Frau Zeybek, geht zur Kommunalwahl eine neue Generation bei den Wuppertaler Grünen an den Start?

 Zeybek: Wir hatten in den vergangenen Jahren einen starken Mitgliederzuwachs. Die konsequente Folge ist, dass diese Menschen kandidieren, um etwas zu bewegen in der Stadt.

 Sind die alten Begriffe Fundis und Realos für die Wuppertaler Kommunalpolitik noch zutreffend?

 Zeybek: In Wuppertal hatte ich nie das Gefühl, dass es diese Aufteilung in starker Ausprägung gibt. Ich bin seit zehn Jahren Mitglied, aber in dieser Zeit habe ich immer gedacht, wir sind eine sehr geschlossene Partei. Das schließt Auseinandersetzungen über große politische Themen und Richtungen nicht aus, die wir einschlagen wollen.

 Welche wären das zum Beispiel?

 Zeybek: Zum Beispiel bei der Entscheidung, mit der CDU das schwarz-grüne Kernbündnis einzugehen, waren wir sehr geschlossen. Da gab es keine großen Unstimmigkeiten.

 Wie ist Ihr eigener politischer Weg verlaufen?

 Zeybek: Ich bin bei den Grünen eingetreten in Brüssel, in den Ortsverband der deutschen Grünen und habe vor zehn Jahren in Brüssel bei der Heinrich-Böll-Stiftung gearbeitet. Damals hat es sich ergeben, dass ich mitgestalten und mitwirken wollte. 2012 bin ich nach Wuppertal gezogen und dann hier in den Ortsverband eingetreten. Ich habe in Großbritannien studiert und meinen Bachelor und Master in London gemacht. Der Masterabschluss war zur europäischen Politischen Ökonomie, und da lag es nahe, nach Brüssel zu gehen. Es war eine spannende Zeit zum Höhepunkt der Euro-Krise. Zu dieser Zeit hat sich auf europäischer Ebene am meisten bewegt und viel verändert.

 Was hat Sie nach Wuppertal gebracht?

 Zeybek: Meine Eltern lebten vorher schon einmal hier. Ich habe in Wuppertal schon zwei Jahre als Jugendliche verbracht. Ausschlaggebend war, dass ich an der Bergischen Universität mit Prof. Lietzmann einen Doktorvater für meine Promotion gefunden habe. Das Thema ist die Rolle der Zivilgesellschaft in der Türkei. Ich schreibe gerade an der Promotion und bin als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin an der Bergischen Universität beschäftigt.

 Was sind Ihre Themen an der Uni?

 Zeybek: Unterschiedlich:  Nichtstaatliche Organisationen in der Klima- und Umweltpolitik, MeToo und Gender in der modernen Gesellschaft. Im kommenden Semester wird es wahrscheinlich einen Lehrauftrag im Bereich direkte Demokratie geben. Ich arbeite am Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung. Wir führen Bürgerbeteiligungsprojekte in Form von Planungszellen durch. Das ist mein Metier.

 Wie passt Kommunalpolitik dazu?

 Zeybek: Für mich war Kommunalpolitik der naheliegende Schritt. Das reizvolle ist, die Umsetzung der Entscheidungen hautnah zu erleben. Als Spitzenkandidatin der Grünen in Wuppertal will ich diese Rolle voll ausfüllen. Was danach kommt, hängt von der beruflichen und persönlichen Entwicklung ab.

 Wie lange gehören Sie dem Stadtrat an?

 Zeybek: Etwas über drei Jahre, ich bin für Tanja Walraff nachgerückt und habe direkt meine Rolle in der Fraktion gefunden. Das ist das Tolle in unserer Partei, dass man direkt im eigenen Themenbereich aktiv werden kann.

 Haben Sie in London das Diskutieren  gelernt?

 Zeybek: Im Studium? Nein, ich glaube, die Diskussionsfreudigkeit ist eine Charaktersache. Ich tausche mich gerne aus. Für mich ist immer eine gute Stimmung wichtig bei der Politik. Diese Politik der guten Stimmung verkörpert für mich auch, dass man mit einer positiven Botschaft nach außen geht und sich nicht in parteipolitischen oder parlamentarischen Querelen verfängt. Die positive Diskussionskultur ist mir wichtig, denn sie fördert Demokratie, den Meinungsaustausch und die Repräsentation der Ideen.

 Sind Sie dabei auch in den Sozialen Medien sehr aktiv?

 Zeybek: Man muss verschiedene Formen der Kommunikation und Debattenführung kombinieren. Die lebendige Diskussion im Parlament ist wichtig, sollte aber ergänzt werden durch die Diskussion nach außen. Die kann in den Sozialen Medien mit einer anderen Sprache geführt werden, die Zielgruppe ist ja auch eine ganz andere.

 Machen Ihnen Ratsdebatten Spaß?

 Zeybek: Wenn die Diskussion im Rat sachlich verläuft, dann ja. Wenn es polemisch wird, dann macht das wohl niemandem Spaß - auch nicht den Zuschauern im Rats-TV. Die sachliche und inhaltlich fundierte Debatte ist das, was wir Grünen ganz gut können.

 Bei der Aufstellungsversammlung wurden Ziele benannt. Zum Beispiel: Führende Kraft im Tal. Sind das spontane Äußerungen oder gemeinschaftlich vereinbarte Ziele?

 Zeybek: Die Umfragewerte sind eine Zeitlang sehr gut gewesen, sie sind immer noch gut. Durch die aktuellen Bedingungen gibt es einen anderen Schwerpunkt. Die Erwartungen der Menschen an die Politik in der öffentlichen Debatte haben sich verändert. Themen wie Klimaschutz, nachhaltige Entwicklung - all das wird von der Bevölkerung viel stärker eingefordert. Das verkörpern wir, indem wir unsere Zukunft nachhaltig gestalten und die vielfältige Gesellschaft mitnehmen. Diese grundlegende Vision ist in vielen Teilen der Bevölkerung schon verankert. Und deswegen haben wir auch in Wuppertal Chancen, als stärkste Kraft aus der Kommunalwahl hervorzugehen. Unser Anspruch, stärkste Kraft im Tal zu werden, ist eine selbstbewusste Aussage, aber sie beruht darauf, dass wir diese Entwicklungen in der Gesellschaft spüren.

 Das kommende Jahr wird von der Coronakrise bestimmt sein. Inwieweit werden die Grünen 2021 Abstriche machen müssen bei ihren Zielen?

 Zeybek: Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm, mit Ausfällen für die Stadt bei der Gewerbe- und Einkommensteuer. Die Belastung des städtischen Haushalts ist gerade in Wuppertal sehr groß. In dieser Krisenzeit, die Klimakrise kommt hinzu, müssen wir wissen, wie es weitergehen soll in unserer Gesellschaft. Ich denke, dass man in Krisenzeiten sehr wohl eine Richtung vorgeben kann. Wir können das tun, indem wir am Wirtschaftsstandort Wuppertal nachhaltige Gewerbeflächen schaffen. Die freie Kulturszene wollen wir mit finanziellen Mitteln unterstützen. Wir wollen den Klimaschutz voranbringen mit sofort umsetzbaren Maßnahmen, die gar nicht so viel kosten. Als Kommune müssen wir uns Gedanken machen, wie wir die Handlungsfähigkeit aufrecht erhalten. Zum Beispiel durch einen Altschuldenfonds, für den wir uns einsetzen. Ich habe den Plan, dass man analog zu den Gewerbeflächen auch Wohnbauflächen nachhaltig entwickeln kann.

 Bei der Kommunalwahl ist eine Stimmenverteilung wie bei der Europawahl denkbar. Mit wem würden die Grünen am liebsten ihre Ziele umsetzen?

 Zeybek: Das ist eine Frage, die sich die neue Fraktion stellen muss und die nicht nur von der Fraktion, sondern auch von der Mitgliedschaft entschieden wird. Ich kann mir vorstellen, dass wir mit dem nächsten Oberbürgermeister, Uwe Schneidewind, vieles umsetzen können.

 Fällt mit dem Ausgang der Oberbürgermeisterwahl eine Vorentscheidung über die künftigen Bündnisse im Rat? Wäre bei einer Wahl von Uwe Schneidewind eine Kooperation mit der SPD noch möglich?

 Zeybek: Wir müssen nach der Wahl gucken, was die besten Schnittmengen sind.

 Was sind die Themen, die Sie persönlich bewegen wollen?

 Zeybek: Das sind Stadtentwicklung und Wohnungsbau. Da habe ich gute Ideen, die wir nach der Wahl umsetzen wollen. Gleichstellung und Integration sind seit Jahren meine Herzensthemen. Durch meine Zeit in Brüssel glaube ich, dass wir viel mehr europäische Politik auf kommunaler Ebene gestalten können. Ich arbeite als einer der „Young European Leader“ an der Vernetzung von Kommunalpolitik und europäischer Politik mit. Da gibt es Beispiele, wie man von anderen Kommunen lernen kann.

 Was sollte sich in den kommenden fünf Jahren in Wuppertal verändern?

 Zeybek: Wir sollten das Stadtleben entwickeln. Dabei sollten wir nicht nur in Großprojekten denken, sondern das Stadtleben in den Quartieren fördern. Bezahlbarer Wohnraum, schonender Umgang mit Grün- und Freiflächen - es gilt, die vielen Projekte vor Ort zu stärken. Ich habe die Vision einer Stadt, in der wir uns im öffentlichen Raum gerne aufhalten. Ich habe die Vision einer Stadt, in der Nachhaltigkeit gelebt wird.