offen gesagt Zeit für eine Kulturschutzsatzung
Meinung | Wuppertal · Auch wenn derzeit der Eindruck entstehen kann, dass sich der halbe Stadtrat an erkältete Bäume kettet, dass die andere Hälfte des Stadtrates sich permanent in irgendwelchen Arbeitsgerichtssälen aufhalten muss, während in der Stadtverwaltung möglichst viele Stellenbesetzungen kostspielig fehlschlagen und geschasste Dezernenten dazu an ihren digitalen Resterampen auch noch ihren faden Senf absondern: Der Eindruck täuscht.
Es gibt auch noch das andere Wuppertal, das lebhafte, zuversichtliche und tatkräftige. Und es ist eindeutig in der Überzahl. Da wären zum Beispiel die rund 8000 Mädchen und Jungen, Frauen und Männer, die sich in der Bergischen Musikschule beibringen lassen, Gitarre, Schlagzeug oder Geige zu spielen oder zu singen. Da sind die mehr als 40 000 Zuschauer, die den Konzerten der Musikschüler überwiegend begeistert und ergriffen ihr Ohr geliehen haben. Nicht zu vergessen die fast 30 000 Gäste, die sich vom immer noch zu kleinen, immer noch zu schlecht ausgestatteten, dafür aber hochmotivierten Schauspielensemble der Stadt großartig unterhalten gefühlt haben in der vergangenen Spielzeit.
Zahllose Konzerte, Ausstellungen, Aufführungen freier Theaterbühnen ergänzen das kulturelle Angebot der städtischen Betriebe, der Museen, des Skulpturenparks Waldfrieden, des derzeit so gebeutelten Tanztheaters (siehe oben: dilettantische Personalentscheidungen). Allein für diesen Samstag hat Rainer Widmann, der Jazz-Kolumnist dieser Zeitung, wieder weit mehr als ein Dutzend Auftritte von Musikern aus der Region auf Bühnen in der Region beworben. Er kann und will dabei nicht den Anspruch erheben, alle „Gigs“ berücksichtigt zu haben. Dazu sind es auch an diesem Septemberwochenende einfach zu viele.
Wuppertal lebt, es lebt, weil seine Kultur nicht klein zu kriegen ist, nicht von viel zu oberflächlichen Personalplanungen, nicht vom Alltag gewordenen Sparen um jeden Preis.
In den City-Arkaden stellen im Oktober 17 Wuppertaler Künstler Gemälde, Skulpturen und Fotografien aus. Fast 60 hatten sich um die Teilnahme beworben. Kaum einer dieser begabten Frauen und Männer kann von seiner Kunst leben. Aber sie machen weiter, sie bereichern so das kulturelle Leben ihrer Heimatstadt. Und die meisten werden im nächsten Jahr wieder versuchen, sich mit ihren Arbeiten den kritischen Blicken eines Wuppertaler Publikums stellen zu dürfen.
Es ist dieselbe Leidenschaft dank derer es sieben von zehn Lehrkräften an der Bergischen Musikschule noch ertragen, für ihre so wichtige, so erfolgreiche und so fruchtbringende Arbeit mit einem Butterbrot abgespeist zu werden. Keiner dieser Lehrer kann allein von dem leben, was ihm die Stadt für seine Zeit bezahlt. Aber die Lehrerinnen und Lehrer kommen wieder, jeden Tag, wann immer sie gebraucht werden. Noch. Nicht auszudenken, dass der Geduldsfaden einmal reißt. Der Schaden wäre immens und nicht zu reparieren.
So weit ist es bisher nicht gekommen. Wuppertals Kulturlandschaft wächst und gedeiht. Sie lebt davon, dass viele Menschen sich für ihre Leidenschaft und für ihr Publikum selbst ausbeuten. Sie tragen entscheidend dazu bei, dass Wuppertal zu den lebenswertesten Großstädten weit und breit gehört. Dafür verdienen sie, dass ihnen mehr Respekt gezollt wird, zum Beispiel dadurch, dass die Öffentlichkeit ihre Anstrengungen wenigstens halbwegs gerecht entlohnt.
In diesen Tagen wird in Wuppertal viel über Bäume gesprochen und über Grünflächen, über Gras auf Dächern, Bienenwiesen an der Straße, darüber, wie erhaltenswert Sträucher und Rabatten doch sind. Nachhaltigkeit ist das Thema der Stunde. Zu recht. Wer aber „nachhaltig“ nur mit der Umwelt verbindet, der denkt zu kurz. Wuppertal braucht mehr als Grün. Wuppertal braucht seine Kultur, die öffentlich steuerfinanzierte und die freie. Denn eine Stadt ohne Kultur ist wie ein Wald ohne Bäume – nicht existent.
Möglicherweise wird der Rat in seiner nächsten Sitzung die Rückkehr der Baumschutzsatzung beschließen. Deren Sinn ist angesichts wunderbar großer Grün- und ebenso schöner Waldflächen in Wuppertal zumindest zweifelhaft. Aber der Antrag wird erbittert debattiert, kämpferisch vertreten und vehement bekämpft. So schön kann parlamentarische Demokratie sein. Beschäftigten sich dieselben Politiker nur annähernd so leidenschaftlich mit einer Kulturschutzsatzung, dann könnten viele Kulturschaffende und noch mehr Kulturfreunde in dieser Stadt aufatmen.