Geschichte Zeitzeugen gesucht: Wer war mit der Kinderlandverschickung in Kahla?
Wuppertal · Thüringer Geschichtsverein fand zufällig ein Dokument, das auf Wuppertaler Kinder in der Leuchtenburg hinweist.
Das eigentliche Thema von Patrick Brion (56) ist die ehemalige unterirdische Militärflugzeugfabrik „Reimahg“, die 1944 von den Nationalsozialisten in den Walpersberg bei Kahla in Thüringen gebaut wurde. Der Belgier kam 1993 als Soldat dorthin, war fasziniert von der Geschichte des Ortes. Seitdem erforscht er sie. Bei seinen Recherchen fand er jetzt einen Hinweis darauf, dass 1945 in der Nähe Kinder aus Wuppertal untergebracht waren. Auch darüber will er mehr herausfinden. Und hofft, über die WZ Zeitzeugen zu finden.
Die Stollen in dem Berg, viele Kilometer lang, entstanden, um dort Sand für Porzellan abzubauen – noch heute ist „Kahla“ eine bekannte Porzellan-Marke. 1944 wurde das Stollensystem beschlagnahmt, es entstand das „Reimagh“ (Reichsmarschall Hermann Göring)-Wert A, das Düsenjäger produzieren sollte.
Patrick Brion berichtet, dass 12 000 deportierte Menschen hierher gebracht wurden, um beim Bau des Rüstungswerk zu helfen. Sie lebten in 40 Lagern in und um Kahla, viele von ihnen starben – mindestens 1000, möglicherweise mehr. Die Produktion des Flugzeugs begann im Februar 1945, Mitte April wurde Kahla von den Amerikanern eingenommen.
Die Nationale Volksarmee der DDR (NVA) nutzte die Stollen ab den 70er Jahren als Lager, 1990 übernahm die Bundeswehr die Anlage, gab sie aber 1996 auf. 1993 lernte Patrick Brion als Soldat der belgischen Armee das Stollensystem kennen. Es hat ihn nicht mehr losgelassen. Seither beschäftigt er sich damit. Und weil er in Kahla auch seine Frau kennenlernte, zog er nach Ende seiner Dienstzeit in der Armee 2019 nach Kahla.
Mit seiner Frau hat er den Förderverein „Mahn- und Gedenkstätte Walpersberg e.V.“ gegründet. Er hat ein Buch über das Rüstungswerk herausgegeben und bietet Führungen an. Und geht weiter Spuren von Menschen nach, die mit dem Rüstungswerk zu tun hatten.
Im Stadtarchiv von Kahla hat er Anfang Juli ein Dokument vom 24. April 1945 gefunden, in dem der Bürgermeister erklärt, warum 40 Wuppertaler Schulkinder, die in der Leuchtenburg untergebracht sind, „rückgeführt“ werden müssen. Offenbar waren Wuppertaler Kinder mit der „Kinderlandverschickung“ – einer Evakuierungsaktion für Kinder und Jugendliche während des Zweiten Weltkriegs – auf der Burg bei Kahla. Das war dort bisher nicht bekannt. Patrick Brion will der Sache nachgehen, hat gleich an die Stadt Wuppertal geschrieben.
Das Wuppertaler Stadtarchiv konnte ihm nicht helfen. Er erhielt aber die Auskunft, dass möglicherweise noch Unterlagen bei anderen Ämtern lagern, die noch nicht ans Stadtarchiv gegangen sind. Und den Hinweis auf einen Aufsatz in der Zeitschrift „Geschichte im Wuppertal“ des Bergischen Geschichtsvereins zum Thema Kinderlandverschickung.
Darin schreibt der Autor Gerhard E. Sollbach, dass es wohl keine systematische „Kinderlandverschickung“ während des Zweiten Weltkriegs von Wuppertal aus gab. Während in anderen von Bomben bedrohten Städten etwa im Ruhrgebiet ganze Schulen zwangsweise in weniger bedrohte Regionen verlegt wurden, wurde in Wuppertal auf Freiwilligkeit gesetzt. Dabei gehörten die Bombenangriffe auf Wuppertal 1943 zu den schrecklichsten, die es bis dahin gegeben hatte.
In Wuppertal gab es
keine Schulverlegungen
Der Autor vermutet, dass das zur Verschleierungstaktik des NS-Regimes gehörte – das Ausmaß der Luftangriffe sollte nicht weiter bekannt werden, deshalb sollte es keine Schul-Evakuierungen geben. Stattdessen wurden Eltern mit Aufrufen im Generalanzeiger aufgefordert, ihre Kinder in die Kinderlandverschickung zu geben. Er schreibt von Transporten in den Sudetengau, die Slowakei, nach Württemberg, Sachsen und auch Thüringen – Kahla ist aber nicht erwähnt.
Patrick Brion hofft jetzt, Zeitzeugen zu finden, die mehr über die 40 Kinder in der Leuchtenburg bei Kahla wissen; vielleicht dabei waren. Die Ergebnisse will er irgendwann im Stadtmuseum Kahla präsentieren.