Amoklauf bahnte sich laut Minister Rech an

Stuttgart/Winnenden (dpa) - Eine Woche nach dem Amoklauf von Winnenden sehen die Ermittler einen deutlichen Zusammenhang zwischen den Killerspielen von Tim K. und dem Blutbad mit 16 Toten.

Bei der Durchsuchung des Zimmers des 17-jährigen Todesschützen waren Gewaltfilme und Computer-Ballerspiele wie „Counter-Strike“ gefunden worden. „Da hat schon was stattgefunden und sich was angebahnt“, sagte Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) am Dienstag in Stuttgart.

Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) sprach sich für strengere Maßnahmen gegen Gewalt in elektronischen Medien aus: „Ich bin da persönlich zu sehr restriktiven Maßnahmen bereit.“ Der Bundestag will am Mittwoch über Konsequenzen aus dem Amoklauf beraten. Experten bestreiten seit Jahren, dass es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Gewaltspielen und Amokläufen gibt.

Die Polizei prüft weiter, ob Tim K. die Tat im Internet angekündigt hat. Rech sagte, „vieles spricht dafür“, dass die Ankündigung in einem Chatroom im Internet gefälscht wurde. Dennoch werde auch der beschlagnahmte Computer der Mutter überprüft. Es gebe auch Hinweise, dass der 17-Jährige Internet-Cafés aufsuchte. Die Ermittler warten weiter auf Informationen des in den USA sitzenden Betreibers des Chatrooms, um den Sachverhalt zu klären. Tim K. hatte am vergangenen Mittwoch 15 Menschen erschossen, darunter neun Schüler und drei Lehrerinnen an seiner ehemaligen Schule. Zuletzt erschoss er sich selbst.

In Baden-Württemberg wird es an diesem Mittwoch um 10.00 Uhr eine landesweite Gedenkminute geben. Bei der Trauerfeier in Winnenden an diesem Samstag werden nach ersten Schätzungen bis zu 100 000 Besucher erwartet - darunter Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). In Schwäbisch Gmünd wurde am Dienstag die erste ermordete Lehrerin beigesetzt. Die Schüler der Albertville-Realschule müssen vom kommenden Montag an wieder zum Unterricht - aber an anderen Schulen. Ob in der Realschule jemals wieder unterrichtet wird, sei noch unklar, sagte Kultusminister Helmut Rau (CDU).

Nach Angaben Rechs gab es seit dem Amoklauf allein in Baden- Württemberg 52 Trittbrettfahrer, die die Polizei mit Drohungen in Atem hielten. Gegen fünf Nachahmungstäter wurde Haftbefehl erlassen.

Oettinger brachte ein schärferes Waffengesetz ins Gespräch. Es sei denkbar, dass „die Hürde, wann, wer, warum eine Waffe rechtmäßig erwerben und auch benutzen kann, weiter angehoben wird.“ Innenminister Rech sieht auch den Vorschlag der Kanzlerin für stärkere Kontrollen als sinnvoll an. Er schränkte aber ein: „Die entscheidende Frage ist die Zuverlässigkeit des legalen Besitzers.“ Auch Kontrollen gäben keine „hundertprozentige Gewähr“. „Sie können nicht jeden Tag jeden Waffentresor auf seine rechtmäßige Verschlossenheit überprüfen.“ Der Vater von Tim K., ein Sportschütze, hatte die Tatwaffe in der Wohnung liegen lassen.

Bei der Durchsuchung des Zimmers des Täters in der elterlichen Wohnung in Weiler zum Stein bei Winnenden wurden nach Rechs Angaben mehrere sogenannte Ego-Shooter-Spiele und Gewaltfilme sowie einige handschriftliche Notizen wie etwa „Tod aus Spaß“ gefunden. Als Konsequenz aus dem Amoklauf regte Justizminister Ulrich Goll (FDP) an, den Alarmplan in Schulen zu verbessern. Mit einem Lichtsignal könnten Lehrer vor einem Amoklauf gewarnt werden. Dann könnten sie rasch die Türen schließen.

Rech räumte ein, dass es bei der Weitergabe von Informationen über die Internet-Ankündigung eine „Panne“ gegeben habe. Allerdings mache er der Polizei keinen Vorwurf: „Ich halte den Ermittlungsbeamten zugute, dass sie persönlich bis an die Grenze der eigenen Belastbarkeit gearbeitet haben.“ Er ergänzte: „Da passiert schon einmal so etwas.“ Über personelle Konsequenzen mache er sich derzeit keine Gedanken.

Nach Ansicht der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) hat der Öffentlichkeitsdruck nach dem Amoklauf zu Fehlern bei den Ermittlungen geführt. „Innenminister Heribert Rech und Polizeipräsident Erwin Hetger standen massiv unter Publicity-Druck“, sagte der DPolG-Landesvorsitzende Joachim Lautensack der Deutschen Presse-Agentur dpa. „Sie fühlten sich genötigt, Ergebnisse beizubringen, und zwar ganz schnell. Damit erzeugten sie einen unglaublichen Druck auf die Dienststelle und die Ermittler, in ganz kurzer Zeit irgendwelche Verifizierungen vorzunehmen, ob etwas echt ist oder nicht.“

Bericht: Henning Otte, dpa