Bruckhausens Begräbnis

In Duisburg verschwinden ganze Siedlungen von der Karte. Eine Ortsbesichtigung. Viele Hauseingänge sind mit Brettern verbarrikadiert, die Fenster dunkle Höhlen.

Duisburg. Das Schild "Moschee Abu Baker Asseddiq" ist verblichen; in der Abrisszone liest niemand mehr den Koran. Die Zeit hat die Fassaden der Heinrichstraße zerfressen, aus den Kellern strömt Modergeruch. Einen Steinwurf entfernt von den vergessenen Häusern kocht der Koloss von Thyssen-Krupp Stahl für den Weltmarkt - den Stoff, aus dem China sein Wirtschaftswunder schmiedet. Das Monstrum haucht seinen schwefligen Atem durch die Straßen, bis in den letzten Winkel, bis in die Bronchien der Menschen.

Viele Hauseingänge sind mit Brettern verbarrikadiert, die Fenster dunkle Höhlen. In einem hat jemand Günter Wallraffs Buch "Ganz unten" hinter die Scheibe gestellt, weil der Titel irgendwie passt und weil Wallraff einmal in Bruckhausen recherchiert hat. In den 70er Jahren war das, aber das ist lange her.

25 000 Menschen lebten damals am Stahlwerk. Jetzt zählt Bruckhausen noch 6400 Einwohner, 5000 von ihnen haben anatolische Wurzeln. Die wenigen deutschen Kinder lernen auf der Straße Türkisch, und selbst im evangelischen Kindergarten gilt Deutsch als Fremdsprache.

Die Hoffnungslosigkeit hat sich tief eingeätzt in diesen Mikrokosmos, der am Stahlwerk beginnt und an der Böschung der Autobahn 42 aufhört. Aber Bruckhausen ist kein Ghetto, in dem Gewalt und Anonymität regieren. Es gibt erbärmliche Ecken, aber auch ruhige Innenhöfe, Moscheen und Kirchen, Plätze mit alten Platanen, Mauern, an denen die Spuren eines Jahrhunderts haften.

Der Aufstieg: Die Schwerindustrie boomte um 1900, und im Umfeld des gigantischen Industrie-Areals wuchsen Siedlungen mit städtischer Infrastruktur für Arbeiter und Angestellte.

Der Niedergang: Er begann während des Stahl-Booms der 70er Jahre, als die Industrie noch näher an die Siedlung rückte. Plötzlich kursierten Expansionspläne, wonach der ganze Ort dem Koloss weichen sollte. Während die Immobilienpreise verfielen, strömten die Ärmsten der Armen nach Bruckhausen. Wer es sich leisten konnte, zog weg. Nur die türkische Bevölkerung wuchs.