„Dann war ich an der Reihe“

Mitten im Feierabendverkehr bricht eine 580 Meter lange Brücke über dem Mississippi zusammen. Sie reißt 80 Autos mit sich. Mindestens vier Menschen starben.

Minneapolis. Ohrenbetäubender Lärm, dann Schreie, als die Autos in die Tiefe stürzten - viele Anwohner von Minneapolis glaubten am Mittwoch (Ortszeit) zunächst an ein Erdbeben oder einen Flugzeugabsturz. Die Anwohnerin Sarah Fahnhorst sagte, ihr Wohnhaus habe gebebt. Doch wer sich auf der 20 Meter hohen achtspurigen Autobahnbrücke über den Mississippi befand, musste erleben, was wirklich vor sich ging.

"Ich sah, wie die Brücke vor mir einstürzte", berichtete Peter Siddons, der wie viele andere im Feierabendverkehr auf der Brücke feststeckte. Einige waren auf dem Weg zu einem Baseballspiel. "Die Brücke brach vor meinen Augen Stück um Stück weiter zusammen, bis ich an der Reihe war." Dann stürzte Siddons in seinem Wagen mit der Brücke in die Tiefe. "Ich dachte, ich würde sterben. Ich dachte wirklich, das sei es gewesen", erzählt Siddons.

Doch er hatte Glück: Sein Wagen wurde nicht in die Luft geschleudert, sondern prallte lediglich gegen das Auto vor ihm. Nur leicht verletzt sprang er über eine Spalte, wo einst die Fahrbahnen waren, und kletterte dann über einen verbliebenen Teil der Autobahn zurück auf festen Grund.

"Es war alles so unwirklich", sagte Ramon Houge, der gerade auf der Brücke fuhr, als der Boden vor ihm plötzlich nachgab. "Es gab ein Grollen, dann ein Zittern, ein Donnern, und dann lag die Brücke plötzlich im Wasser. Ich sah Fahrzeuge stürzen, hörte Menschen schreien", schilderte Augenzeuge Tim McLane.

Auch ein vollbesetzter Schulbus einer Kirchengruppe befand sich auf der Brücke. Der Bus sei "einfach abgestürzt", erzählt die 13-jährige Jeisy Aguiza. "Wir haben alle nur geschrieen." Die 60 Kinder im Alter von fünf bis 14 Jahren kamen von einem Schwimmausflug. Sie konnten das Fahrzeug durch die hintere Tür verlassen, während in unmittelbarer Nähe ein Sattelschlepper, der in zwei Teile gerissen worden war, in Flammen aufging. Zehn der Schulkinder wurden ins Krankenhaus gebracht.

Catherine Yankelevich stürzte mit ihrem Wagen in die kalten Fluten. "Die Brücke brach ein, Autos wurden durch die Luft geschleudert, und ich sah das Wasser näher kommen." Dennoch gelang es ihr, sich durch das Fenster aus ihrem sinkenden Fahrzeug zu befreien und an Land zu schwimmen. Menschen, die sich zum Zeitpunkt des Einsturzes nicht auf der Brücke befunden hatten, rannten herbei, um den Verunglückten zu helfen.

Viele von ihnen waren eingekeilt zwischen Metall- und Betonteilen. Leichen und Autos trieben zwischen den Trümmern im Wasser. Rettungskräfte arbeiteten fieberhaft. Doch wegen der herannahenden Nacht und wegen eines Gewitter mussten sie die Bergungsarbeiten zwischenzeitlich einstellen. Bis dahin wurden mindestens vier Leichen geborgen. Zunächst war von neun Leichen die Rede gewesen. Weitere 30 Menschen wurden gestern noch vermisst. Rund 80 teils Schwerverletzte wurden im Krankenhaus behandelt.

Der Gouverneur von Minnesota, Tim Pawlenty, hatte zunächst versichert, es habe kein "strukturelles Problem" bei der Brücke gegeben. Während des Unglücks wurden lediglich Betonreparaturen ausgeführt.

Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die Katastrophe vielleicht hätte verhindert werden können. US-Präsidentensprecher Tony Snow teilte mit, der bauliche Zustand der Brücke sei bereits 2005 in einem Bericht für das Verkehrsministerium in Washington als "strukturell mangelhaft" bewertet worden. Das treffe allerdings auf 40 Prozent der Brücken in dem US-Bundesstaat zu, räumte der Kongressabgeordnete James Oberstar ein.