Der Klimawandel bedroht eine Milliarde Menschen

UN-Klimabericht: Der gestern bekannt gewordene Entwurf sieht ein Sechstel der Weltbevölkerung in akuter Gefahr.

Düsseldorf. Der Klimawandel könnte zur größten Katastrophe in der Menschheitsgeschichte werden. Rund ein Sechstel der Weltbevölkerung - mehr als eine Milliarde Menschen - ist laut dem Entwurf für den zweiten Teil des UN-Klimaberichts direkt von den Folgen des Klimawandels bedroht. Auszüge aus dem bisher geheimen Bericht des UN-Klimarats IPCC sind gestern bekannt geworden.

Die Forscher gehen davon aus, dass der Klimawandel nicht mehr zu stoppen ist. Selbst mit einer deutlichen Reduzierung des Treibhausgas-Ausstoßes ließen sich die Folgen nur abmildern.

Besonders bedrohlich ist diese Entwicklung für Menschen, die in Küstenregionen oder in Gebieten leben, deren Trinkwasserversorgung von Gletschern abhängt. Durch den befürchteten Anstieg des Meeresspiegels und das Abschmelzen der Gletscher würde diesen Menschen Stück für Stück die Lebensgrundlage entzogen. Über eine Milliarde Menschen - insbesondere auf kleinen Inseln sowie an den Küsten Südostasiens - wären gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen. Gigantische Küstenschutzmaßnahmen werden diskutiert.

Angesichts der Warnungen gestand UN-Generalsekretär Ban Ki Moon gestern, dass der Klimawandel für die Menschheit so gefährlich sei, wie Kriege. "Unglücklicherweise war meine Generation etwas unachtsam dabei, auf unseren einzigartigen Planeten zu achten", meinte Ban vor Schülern. Er sei aber zuversichtlich, dass sich die jüngere Generation besser darum kümmern werde. Beim G8-Gipfel im Juni will Ban das Thema ansprechen.

Wetterextreme Unwetter wie Stürme und Starkregen, aber auch Hitzeperioden und Dürren werden häufiger und vermutlich auch extremer auftreten als bisher. Die Dürren werden insbesondere weite Teile Brandenburgs und Mecklenburg-Vorpommerns hart treffen. Hier ist mit Ernteeinbußen zu rechnen. Aber auch im Rheinland werden gerade ältere und kranke Menschen besonders unter dem extremen Wetter leiden.

Jahreszeiten Während die Sommer heißer und trockener ausfallen, wird im Winter mehr Niederschlag als bisher erwartet. Allerdings werden auch die Winter deutlich milder. Dadurch werden sich die Vegetationszeiten langfristig verschieben. Bäume und Pflanzen blühen früher. Neue Arten dringen langsam nach Norden vor.

Tierwelt Auch die Tiere reagieren auf den Klimawandel. Viele Zugvögel kehren schon in diesen Tagen aus ihren Winterquartieren zurück - viel früher als sonst. Einige Zugvögel haben sogar hier überwintert.

Meeresspiegel Deutschland muss zunächst keine großen Überflutungen befürchten. Erst bei einem Anstieg des Meeresspiegels von über einem Meter wären hier Regionen gefährdet.

Ban Ki Moon, der neue UN-Generalsekretär, vergleicht den Klimawandel mit Kriegen. Was auf den ersten Blick wie ein wuchtiger Weckruf klingt, entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Verharmlosung: Der Klimawandel bedroht die Lebensgrundlagen von einer Milliarde Menschen, Kontinente werden ihr Gesicht verändern - welche Dimensionen müssten Kriege haben, die solches vermögen?

Vermutlich kam es Ban aber gar nicht so sehr auf die Tauglichkeit des Vergleichs an, sondern eher auf die erhoffte Wirkung. Er will eine Prioritätenverschiebung bei den Vereinten Nationen: Die Verhinderung und Eindämmung von Kriegen war bisher ihr Hauptanliegen, der Klimaschutz soll nun als gleichberechtigtes Ziel hinzu kommen. Das ist naheliegend, schließlich kann ein globales Problem nur mit einer globalen Organisation gelöst werden. Nur müssten sich dann zwei entscheidende Dinge verändern.

Erstens: Wer Probleme lösen will, muss die hören, die am meisten unter ihnen leiden - das werden laut Experten die Entwicklungsländer sein. Sie werden die Folgen des Klimawandels am härtesten zu spüren bekommen. Und ausgerechnet sie haben bei den UN nur wenig Gewicht. Die fünf ständigen Mitglieder samt Vetorecht sind vier Industrienationen (USA, England, Frankreich, Russland) und ein Schwellenland (China). Es sind die größten Verursacher des Treibhauseffekts, die hier bestimmen, wieviel Barmherzigkeit sie den Klimaopfern zukommen lassen wollen.

Zweitens: Friedenssicherung funktioniert nicht allein per Diskussion. Das gilt auch im Kampf gegen den Klimawandel. Seit rund 15 Jahren debattiert die Welt über die Verringerung der Treibhausgase - ohne greifbaren Erfolg. Gleichzeitig bestaunt sie ratlos die ersten gravierenden Folgen des Klimawandels. Tausende Afrikaner versuchen jedes Jahr über das Mittelmeer Europa zu erreichen. Viele kann man mit Fug und Recht als "Klimaflüchtlinge" bezeichnen. Sie fliehen vor verödeten Böden und Kriegen um fruchtbares Land und Wasser. Europa mauert sich ein. Doch was passiert, wenn nicht Tausende, sondern Millionen in die Regionen der Welt strömen, in denen das Klima erträglich bleibt?

Ban hat eine große Aufgabe übernommen. Es braucht mehr als einen Friedensstifter, um sie zu bewältigen.