Ein Freispruch spaltet die USA
Für die breite Öffentlichkeit war Casey Anthony schuldig, ihre Tochter getötet zu haben. Die Geschworenen sahen das anders.
Washington. Seit drei Jahren beschäftigt der rätselhafte Tod der zweijährigen Caylee Anthony die Amerikaner, nun spaltet der sensationelle Freispruch ihrer Mutter die Nation. Der schlagzeilenträchtige Fall stellt auch die Funktionsfähigkeit der amerikanischen Justiz infrage.
Im Juni 2008 zog die damals 22-jährige Casey Anthony mit ihrer Tochter Caylee nach Orlando in Florida, angeblich, um einen neuen Job beim Filmhersteller Universival Studios anzutreten. Die kleine Caylee aber sah niemand mehr, auch nicht die Großeltern George und Cindy Anthony, die sich um ihre Enkelin gekümmert hatten. Erst 31 Tage, nachdem sie Caylee das letzte Mal gesehen hatte, hielt es die junge Mutter für notwendig, die Polizei einzuschalten. Sechs Monate später wurde die Leiche des Kleinkinds in einem Wald unweit des Hauses der Großeltern gefunden.
Caylees Mund war mit Klebeband zugepflastert. Für die breite Öffentlichkeit und führende TV-Sender, die dem Fall allabendlich Sondersendungen widmeten, bestand kein Zweifel: Casey hatte ihre Tochter eiskalt ermordet, um ihr sorgenfreies Leben als „Partygirl“ fortsetzen zu können.
Denn gelogen hatte die junge Mutter am laufenden Band: über ihren neuen Job, den sie gar nicht hatte, über eine Kinderfrau, mit der das Kleinkind angeblich ihre Tage verbracht hatte. Auch hatte Casey auf ihrem Computer den Suchbegriff „Chloroform“ eingegeben und soll nach Wegen gesucht haben, Caylees Herz zum Stillstand zu bringen.
Sechs Wochen dauerte der Prozess, der live im Fernsehen übertragen wurde. Dass zwölf Geschworene die Mutter für schuldig befinden würden, daran zweifelte fast niemand. Umfragen ergaben, dass 90 Prozent der Amerikaner von ihrer Schuld überzeugt waren.
Nun aber die große Sensation: Casey Anthony wurde freigesprochen. Die Jury warf ihr lediglich vor, die Polizei belogen zu haben. Noch diese Woche könnte sie wieder auf freien Fuß kommen.
Rechtsexperten sind ratlos. Vor dem Gerichtssaal versammelten sich Hunderte von Menschen und protestierten. „Die Hexe ist frei“, schrien einige. „Casey verdient den Tod“, stand auf einem Schild, das eine junge Mutter über den Kopf hielt. In Florida wird nun erwogen, Strafverfahren künftig unter Ausschluss von Fernsehkameras und Mikrofonen durchzuführen.