Fall Gäfgen: Ein Urteil spaltet die Gesellschaft
Richter spricht Kindermörder Recht auf Entschädigung zu.
Frankfurt. Darf ein Rechtsstaat einem Kindermörder Entschädigung zusprechen? Das Frankfurter Landgericht musste darauf eine Antwort geben, die schwer über die Lippen geht: 3000 Euro soll das Land Hessen Magnus Gäfgen zahlen, weil ihm Polizisten im Jahr 2002 mit Folter gedroht hatten, um das Leben des entführten Jakob von Metzler zu retten. Doch Gäfgen hatte den Elfjährigen da schon erstickt.
Nur ein gutes Dutzend Zuhörer kam am Donnerstag ins Frankfurter Landgericht, um die Antwort der Zivilkammer zu hören — deutlich weniger als zum Prozessauftakt am 17. März, als der Mörder selbst aussagen musste. 45 Minuten nahm sich Richter Christoph Hefter Zeit, die Entscheidung zu begründen. Nicht mal Gäfgens Anwalt hörte sich seine Ausführungen an.
Kaum einer der wenigen Prozessbeobachter, zumeist Rentner, reagierte so aufgebracht wie ein ehemaliger Kaufmann: „Mir kommt das K. . ., wenn ich das höre“, sagte der 70-Jährige. „Wer fragt die Familie des kleinen Jakob, wie es ihr geht und wer sie psychisch betreut?“ Veit Schiemann von der Opferorganisation Weißer Ring sagte: „Bei allem Respekt für die Regeln eines modernen Rechtsstaats: In diesem Fall werden die Bürger das nicht nachvollziehen können.“
Manche schon: „Der Richter hat das sehr geschickt begründet“, sagte eine pensionierte Lehrerin. Vor dem Urteil hatte die 70-Jährige noch gehofft, dass Gäfgen kein Geld vom Staat bekommen müsse. Ähnlich äußerte sich auch die Gewerkschaft der Polizei. Das zugeteilte Geld an einen verurteilten Kindermörder sei emotional nur sehr schwer erträglich, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft der Polizei. „Diese dicke Kröte muss jedoch unter dem Gesichtspunkt der Rechtsstaatlichkeit geschluckt werden.“
Im Justizmarathon um Gäfgen ist dennoch kein Ende in Sicht: Der inzwischen 36-Jährige bleibt ein Dauerläufer durch die juristischen Instanzen. Ob sein Anwalt Berufung einlegt, war am Tag des Urteils noch unklar. Kürzlich hat Gäfgen den früheren Frankfurter Polizei-Vizepräsidenten Wolfgang Daschner, der die Folterdrohung anordnete, wegen angeblicher Falschaussage angezeigt. Sogar das ganze Strafverfahren gegen den Kindermörder könnte noch einmal aufgerollt werden. Dem Landgericht Darmstadt liegt seit geraumer Zeit ein Wiederaufnahmeantrag vor.