Flugzeugabsturz in Madrid: Welche Rolle spielte der eingeschaltete Umkehrschub?
Das Triebwerk des Madrider Unglücksjets war auf Umkehrschub geschaltet. Experten rätseln über dieBedeutung.
Madrid. Für die Flugzeugkatastrophe von Madrid istmöglicherweise ein Triebwerk verantwortlich, das auf Umkehrschubgeschaltet war. Das ergaben nach Presseberichten vom DienstagUntersuchungen an den Überresten des Flugzeugwracks.
Sechs Tage nachdem Unglück, bei dem 154 Menschen umkamen und 18 verletzt wurden,fanden die Ermittler damit einen ersten Hinweis auf eine möglicheUrsache der Katastrophe auf dem Madrider Flughafen.
Allerdings warf die Entdeckung eine Reihe neuer Fragen auf. Es warunter anderem völlig unklar, wie dieser Mechanismus aktiviert und ob ervom Piloten oder durch technisches Versagen ausgelöst wurde. DerUmkehrschub dient dazu, ein Flugzeug zu bremsen.
Er kann normalerweisenur eingeschaltet werden, wenn eine Maschine sich am Boden befindet.„Eine Schubumkehr ist beim Start so ziemlich das Schlimmste, waspassieren kann“, sagte ein namentlich nicht genannter Pilot der Zeitung„El Mundo“. „Ein Triebwerk treibt die Maschine nach vorn, das Triebwerkauf der anderen Seite zieht in die Gegenrichtung.“
Der deutsche Flugingenieur Jürgen Heermann, der 30 Jahre lang großeVerkehrsflugzeuge flog, hält diese Erklärung allerdings für wenigwahrscheinlich. „Um den Umkehrschub auszulösen, muss ein speziellerHebel betätigt werden. Das ist in einer Startphase völligausgeschlossen“, sagte er in einem dpa-Gespräch.
„Solange die Gashebelnach vorne gelegt sind, lässt sich der Hebel überhaupt nicht bewegen.“Für nicht ausgeschlossen hält es Heermann, dass der Hebel beim Aufprallin eine andere Stellung gebracht worden sein könnte. Das müsse in denweiteren Untersuchungen geklärt werden.
Allerdings könnte eine aktivierte Schubumkehr die Videoaufnahmen einerKamera des Flughafens erklären. Das sieben Sekunden lange Video zeigt,dass die Spanair-Maschine beim Start nicht genügend Schub hatte, späterabhob als normal und dann nach rechts abschmierte.
Allerdings wiesenmehrere Experten darauf hin, dass eine Aktivierung des Umkehrschubsallenfalls ein Faktor, aber nicht die alleinige Ursache der Katastrophegewesen sein könnte. Ein Flugzeug könne auch dann starten, wenn aneinem Triebwerk die Schubumkehr aktiviert sei, sagten Piloten derZeitung „El País“.
Alberto García Pérez, einer der führenden spanischen Luftfahrtexperten,betonte zudem: „Bei der Unglücksmaschine vom Typ MD-82 befinden sichdie Triebwerke am Heck ziemlich nahe an der Längsachse des Flugzeugs.Bei einer Schubumkehr auf einer Seite dürfte die Abweichung vom Kursdeshalb eher gering ausfallen.“
Der Absturz einer Boeing 767 derösterreichischen Fluglinie Air Lauda am 26. Mai 1991 über dem Dschungelin Thailand war auf die Auslösung der Schubumkehr im linken Triebwerkwährend des Steigflugs zurückgeführt worden. Als Grund wurde damalstechnisches Versagen genannt. Bei dem Unglück waren alle 223 Menschenan Bord ums Leben gekommen.
Bei der Madrider Katastrophe ist die Frage offen, ob der Umkehrschubdurch eine technische Panne oder vom Piloten ausgelöst wurde. „In demFall, dass der Pilot die Schubumkehr aktivierte, könnte dies daraufhindeuten, dass er in einem kritischen Moment den Versuch unternahm,die Maschine noch abzubremsen“, schreibt „El País“.
Der Umkehrschub istbei Flugzeugen eine zusätzliche Bremse. Zur Auslösung werden amTriebwerk Klappen ausgefahren, die den Abgasstrahl schräg nach vorneleiten und so das Flugzeug abbremsen.
Von den 18 Insassen der Spanair-Maschine, die die Katastropheüberlebten, wurden zwei aus dem Krankenhaus entlassen. Der erste warein sechsjähriger Junge, der bei dem Unglück seine 16 Jahre alteSchwester verlor. Ihm folgte die Sparkassenleiterin Beatriz Reyes.
Die41-Jährige sagte auf einer Pressekonferenz: „Ich fühle mich wieneugeboren.“ An den Absturz selbst habe sie nur eine schwacheErinnerung. „Ich klammerte mich an meinen Sitz, mehr weiß ich nicht.Nach dem Absturz hörte ich Schreie und Hilferufe. Aber was ich sah,daran kann ich mich nicht erinnern.“
Reyes erschien auf der Pressekonferenz in einem Rollstuhl, konntediesen aber, wenngleich leicht hinkend, aus eigener Kraft verlassen.Unmittelbar nach dem Absturz hatte sie zwei Kinder befreit, die in denTrümmern der Maschine in ihren Sitzen eingeklemmt waren. „Das hättejeder andere an meiner Stelle auch getan“, sagte sie.
Von Flugangstwill sie nach der Katastrophe nichts wissen: „Ich nehme morgen eineMaschine und fliege heim nach Gran Canaria.“