Gespräch: Helden mit Tagebuch auf Tour
Die Deutschrocker auf Lesetour: „Dass aus uns mal was werden würde, war mit bloßem Auge nicht zu erkennen.“
Düsseldorf. Bis Ende 2006 war Judith Holofernes (31) die fleißigste Tagebuch-Schreiberin von allen. Im Dezember kam dann Söhnchen Friedrich zur Welt, und auf der Homepage der Band "Wir sind Helden" wurde die regelmäßige Berichterstattung aus dem Alltag der Band merklich dünner.
Gesammelt und erweitert brachte der Fischer-Verlag im Februar das Online-Tagebuch der Helden auf Papier und als CD heraus. 40 000 Exemplare sind inzwischen verkauft. Die Doppel-Edition ergänzt, was 2007 geschah, und hinterfragt mitunter auch das eigene Selbstbild.
Nur ein Buch für eingefleischte Fans? "Nein", meint Judith Holofernes, "weil man sich dadurch in das hineinfühlen kann, in das, was eine Band ausmacht. Wie sich die Einzelnen erstmal zusammenfinden und sortieren müssen, um auch schwierige Situationen zu überstehen, bis das Unfassbare wahr wird - dass eine Band Erfolg hat."
Und weil die "Helden" mal wieder glauben, woran niemand anderes glaubt, nämlich dass man als Rockband mit Literatur auf Tour gehen kann, tun sie genau das. Und was passiert da? "Der Schwerpunkt liegt auf dem Text, zu 60 Prozent lesen wir, dazu laufen Bilder aus dem Familienalbum, dazwischen spielen wir immer mal ein, zwei Stücke unplugged", sagt Holofernes.
Zusammen mit Sohn Friedrich und ihrem Mann Pola, dem Schlagzeuger der Band, konnte sie die vergangene Woche bei ihrer Mutter in Freiburg noch ein bisschen Auszeit genießen. Doch am Montag, bei der Lesung in Köln, muss wieder ein "Best Off" aus sieben Jahren her.
Die Auswahl war "ganz, ganz schwierig, weil es ja alles Sachen sein müssen, die gleichzeitig unterhaltsam sind, aber die man nicht erst groß erklären muss". Als Vorleser gefordert sind alle vier. Es geht um die Gründung der Band 2000 - "Dass aus uns mal was werden könnte, war mit bloßem Auge nicht zu erkennen"* - oder um erste, noch sehr sparsam besuchte Konzerte.
Wie das im Mai 2002 in Rostock: "Heiter und gelassen lächeln wir unserem Publikum zu, und heiter und gelassen lächeln 14 strahlende Gesichter zurück".
Die Freude über Triumphe bleibt - "11. März 2004: Düsseldorf. Philipshalle. 7500 Leute. So was kann ein Menschenhirn kaum fassen." Aber auch Flops und Panikattacken werden nicht verschwiegen. So geschehen im Juni 2006 in Nürnberg beim "Rock im Park" - "Wir kamen nervenzerfetzt auf dem Gelände an, konnten noch kurz pinkeln und wurden dann vor 50 000 Menschen geschubst" - wo das Publikum eigentlich Limp Biszkit sehen wollte: "Aber am Ende löste sich alles in Wohlgefallen auf."
Judith Holofernes und ihre drei Bandmänner schreiben und lesen über das Zusammenleben, die Arbeit im Studio oder das Touren mit Baby, das endlich schläft, um für den Zoll wieder geweckt zu werden: "Da war ich richtig sauer. Inzwischen funktioniert mit dem Friedrich zu reisen, erstaunlich gut. Am Anfang waren wir noch völlig nervös und haben nächtelang an der Klimaanlage rumgefummelt. So wie neue Eltern halt sind".
* Alle kursiv gesetzten Zitate stammen aus dem Buch.