Interview - Christopher von Deylen ist Schiller: „Musik sagt mir, wie es mir geht“
Christopher von Deylen ist Schiller. Er spricht über Schüchternheit und seine Art, Ben Becker zu zähmen.
Bremen. Der Name Schiller steht seit Ende der 90er Jahre für bedrückende Sphärenklänge, für eine Mixtur aus Trance, Ambient und Chill-Out-Beats auf hohem künstlerischem Niveau. Hinter Schiller steht Christopher von Deylen (37), der für sein neues Nummer-1-Album "Sehnsucht" mit Stars wie Ben Becker und Anna Maria Mühe zusammengearbeitet hat.
Herr von Deylen, in der Vergangenheit suchten Sie Ihre Inspiration zwischen China, Usbekistan, dem Oman und Irland. Wohin sind Sie diesmal gegangen?
von Deylen: Die letzte Reise, die zur Inspiration herhielt, führte mich 2006 nach Kalkutta. Dort ist mir auch der Titel der neuen Platte eingefallen. Meint man es wirklich ernst mit Sehnsucht und Fernweh, muss man schon zwei Monate wegbleiben.
Sie arbeiten mit elektronischen Mitteln. Versuchen Sie dennoch, Klänge zu schaffen, die direkt aus der Natur zu kommen scheinen?
von Deylen: Nicht bewusst. Mich berühren elektronische Klänge mehr als Naturklänge. Anfangs hieß es immer, Elektronik sei kalt. Für mich ist es aber genau andersrum. Ich versuche immer, die Musik zu machen, die ich selber gerne hören möchte.
Sie arbeiten mit zehn Sängern und Schauspielern. Haben Sie sich da manchmal gefragt: Ist das Ganze noch ein echtes Schiller-Album?
von Deylen: Auch wenn viel gesungen wird, kann ich mich musikalisch gar nicht so weit zurücknehmen, dass es beliebig klingt. Ich nehme mir jedes Mal vor, weniger Gäste einzuladen. Wenn es dann aber in den Fluss kommt und sich schöne Stimmen anbieten, kann ich sie nicht ablehnen. Für mich ist die Musik am schönsten, wenn sie einen Film im Kopf erzeugt. Sprache und Gesang sind so lange für mich akzeptabel, wie sie nicht die Kontrolle übernehmen. Der Hörer soll immer noch Platz haben, um sich selbst etwas zu erdenken und zu erhören.
Anna Maria Mühe spricht Texte von Goethe, Grillparzer und dem altfranzösischen Autor Chrétien de Troyes. Welches Verhältnis haben Sie zur Literatur?
von Deylen: Ehrlich gesagt überhaupt keins. Ich will gar nicht so viel wissen über Goethe und Grillparzer. Das würde mich zu sehr hemmen. Ich halte mich auch nicht für besonders virtuos. Aber gerade durch diesen gewissen Mangel an Perfektion erzeuge ich Emotionen. Es gibt Sänger, die umspannen mit ihrer Stimme mühelos mehrere Oktaven, aber es kommt dabei kein Gefühl auf. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die beherrschen nur eine halbe Oktave, aber jeder Ton treibt einem die Tränen in die Augen.
Ben Becker gilt als schwierig und unberechenbar. Wie sind Sie mit ihm klargekommen?
von Deylen: Lässt man Ben Becker uneingeschränkt gewähren, dann entwickelt er alsbald gewisse Alphatier-Merkmale. Man muss deshalb genau wissen, was man von ihm will. Ich jedenfalls hatte mit ihm keine Probleme, er hat alles auf ganzer Linie akzeptiert. Jetzt überlegen wir sogar, ob er bei unserem Konzert in Köln mitmacht, das wir für eine DVD aufzeichnen wollen.
Geht es Ihnen mit Ihrer Musik auch darum, den Verstand zu fordern?