Jüdischer Emigrant: „Ich bin und war immer Deutscher“

David Kirk floh vor den Nazis und sieht sich noch heute diskriminiert.

Mönchengladbach/Vancouver. Sind deutsche Juden, die einst vor den Nazis ins Ausland flohen, nach heute geltendem Recht deutsche Staatsbürger geblieben? Oder gilt für sie heute noch, was nach nationalsozialistischem "Un-Recht" in der Zeit zwischen dem 30.1.1933 und dem 8. Mai 1945 Fakt war: Deutsche Juden verloren ihre Staatsangehörigkeit bzw. ihre Reichsbürgerschaft und damit ihre "vollen politischen Rechte".

Diese Frage wirft der kanadische Staatsbürger Professor H. David Kirk auf. Als Heinz Joachim Kirchheimer kam er als Sohn eines jüdischen Textilunternehmers und seiner Frau am 15.März 1918 in Mönchengladbach zur Welt. 16-jährig siedelte er nach England über, gemeinsam wanderte die Familie 1938 nach Amerika aus.

Der mittlerweile 90 Jahre alte Mann will jetzt diese für ihn wichtige Frage klären: Bestand seine deutsche Staatsbürgerschaft aus Sicht des heutigen Deutschland auch nach den Nürnberger Gesetzen vom 15.9.1935 weiterhin und besitzt er sie also noch heute?

Mehrere Bücher hat der promovierte Soziologe, der als Professor an der Universität von Waterloo/Kanada wirkte, zu den Themen Heimatverlust und Wiederverwurzelung publiziert. Ein akademisches Leben lang setzte sich David Kirk mit diesen oft traumatisch verlaufenden Ereignissen auseinander, geprägt aus eigenen leidvollen Erfahrungen in früher Jugend.

Er will nicht, dass heute noch Recht ist, was im "Dritten Reich" Gesetz war und kämpft für die Anerkennung seiner ununterbrochenen deutschen Staatsbürgerschaft: "Wir, die wir den Mördern entwischen konnten, sind eben Deutsche geblieben, welche Nationalitäten wir auch angenommen haben."

Im April schrieb er an das kanadische Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland in Vancouver. Mit diesem Brief erbat er die offizielle Anerkennung seiner deutschen Staatsbürgerschaft, die lange Zeit "unsichtbar" gewesen sei. Der sehr freundliche Briefwechsel endete jedoch mit einem Missverständnis.

Während die Mitarbeiterin der Behörde erfreut war, Herrn Kirk am 13. Juni den Eingang seiner deutschen Einbürgerungsurkunde in Vancouver mitteilen zu können und ihn aufforderte, das Schriftstück persönlich abzuholen, lehnte dieser es ab, eine solche Urkunde zu akzeptieren. Kirk verwies auf seine "unauslöschbare deutsche Staatsbürgerschaft", die es anzuerkennen gelte.

Daraufhin ging die am 20. Mai vom zuständigen Kölner Bundesverwaltungsamt ausgestellte Einbürgerungsurkunde der Bundesrepublik Deutschland zurück in die Domstadt. Im Wortlaut der Urkunde heißt es tatsächlich: "David Kirk hat sich mit dem Zeitpunkt der Aushändigung dieser Urkunde die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erworben."

Zwar ist der ehemalige Mönchengladbacher Bürger Heinz Kirchheimer ein hochbetagter Herr, dem die Jüdische Gemeinde seiner Heimatstadt mit einem herzlichen "Mazel Tov" zu seinem Jubelfest im März diesen Jahres gratulierte. Doch das ändert nichts daran, dass er sein Vorhaben weiter verfolgt.

Allerdings dürften seine Chancen nicht allzu gut stehen. Der Artikel116 Absatz 2 des Grundgesetzes (siehe Infokasten) spricht von dem Recht auf Wiedereinbürgerung. Nur Betroffene, die nach 1945 in Deutschland lebten, gelten als nicht ausgebürgert.

Aber wird auf diese Weise nicht nationalsozialistisches Unrecht nachträglich legitimiert? Mit eben dieser Frage hat sich das Bundesverfassungsgericht bereits 1968 (Az.2BvR557/62) befasst. Die Regelung, dass emigrierende Juden nicht nur ihre Staatsangehörigkeit, sondern auch ihr Vermögen verloren, sei der Versuch gewesen, "nach rassischen Kriterien bestimmte Teile der eigenen Bevölkerung physisch und materiell zu vernichten."

In der entsprechenden Verordnung (siehe Infokasten) habe "der Widerspruch zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass sie von Anfang an als nichtig erachtet werden muss."

Dennoch bedeutet das auch für das Bundesverfassungsgericht nicht, dass es einen Automatismus in dem Sinne gibt, dass die deutsche Staatsbürgerschaft fortbestand. Die Karlsruher Richter argumentierten: Der Artikel 116Abs 2 Grundgesetz "trägt dem Gedanken Rechnung, dass keinem der Verfolgten gegen seinen Willen die deutsche Staatsangehörigkeit aufgedrängt werden soll."

Auch wenn nun vielfach das geschehene Nazi-Unrecht (bis zur Bekundung eines anderen Willens des Betroffenen) faktisch aufrechterhalten wird, muss doch auch der Sinn dieser Regelung gesehen werden: Es gibt und gab verständlicher Weise auch die Fälle, in denen die Betroffenen mit allem, was deutsch ist, abgeschlossen hatten.

Und entsprechend auch keinen deutschen Pass haben wollten. Das ist der Gedanke, der hinter der grundgesetzlichen Regelung ("Jeder kann, aber keiner muss") steht.