Klinik-Prozess Wegberg: „Experimente am Menschen“
Gutachter streiten über Zitronensaft im Operationssaal.
Mönchengladbach. Zwei Gutachter beschäftigten sich am Donnerstag im Prozess gegen den früheren Chefarzt der Wegberger Antonius-Klinik, Arnold Pier, mit dem Einsatz von Zitronensaft als Desinfektionsmittel an Wunden. Pier und einige andere Ärzte sind angeklagt wegen Körperverletzung mit Todesfolge und fahrlässiger Tötung in insgesamt sieben Fällen.
Die Auffassungen der Experten hätten gegensätzlicher nicht sein können. Professor Sebastian Lemmen ist Arzt und Experte für Krankenhaushygiene an der Universität Aachen. Sein Widerpart Professor Peter Philippsen von der Uni Basel ist gelernter Chemiker und seit 20 Jahren auf dem Gebiet der Mikrobiologie tätig.
Lemmen sieht die Sache im Sinne der Anklage. "Wund-Antiseptika müssen streng steril hergestellt werden", erklärte er. Das Auspressen einer Zitrone mit Küchenmesser, Presse und bloßen Händen in eine einfache Nierenschale, wie es aus dem Krankenhaus geschildert wurde, hält er für unvorstellbar. Es sei kein weiterer solcher Fall bekannt. Ein Patient müsse bei einer derart ungewöhnlichen Behandlung aufgeklärt werden, möglicherweise sogar schriftlich einwilligen, argumentiert Lemmen.
Mit Zitronensäure arbeite er noch nicht einmal mit Probanden. "Das hat den Charakter des Experiments am Menschen." Gewebeschädigungen seien durch Zitronensäure möglich, sie sei "so ätzend wie Salzsäure". Zitronensäure töte zwar Bakterien, sei aber nicht steril, erklärt der Gutachter. Denn Viren, Pilze und Sporen überleben.
Entgegen Lemmens Erkenntnissen hat Philippsen Versuche gemacht, nach denen Zitronensaft auch in starker Verdünnung noch steril sei. "Sogar nach vier Monaten haben sich noch keine Keime gebildet." Zitronensäure habe die "höchstmögliche Ungefährlichkeitsstufe - so wie Gras", sagt Philippsen. Und genau das gerät zu einem der Angelpunkte des Verhandlungstags: Gefährlich oder nicht? "Wir müssen nicht beweisen, dass Zitronensäure heilt", sagt Pier-Anwalt Thomas Verheyen in Richtung Staatsanwalt. "Sie müssen beweisen, dass sie schädlich ist."
Genau das wird am Ende die Frage sein: Was kann die Staatsanwaltschaft Pier wirklich beweisen? Fortgesetzt wird der Prozess Anfang Januar.