Lebendige Statue für eine Stunde

100 Tage lang stellen sich 2400 Briten auf dem Trafalgar Square aus.

London. Wer zum Londoner Trafalgar Square kommt, schaut sich normalerweise die Nationalgalerie an, schimpft über den stinkenden Verkehr oder bestaunt die Statue von Admiral Nelson. Seit Montag sind jedoch auch lebende Denkmäler zu bewundern. Im Rahmen einer Aktion des britischen Künstlers Antony Gormley erklimmen in den kommenden Monate tausende Freiwillige im Stundentakt die sogenannte "Fourth Plinth", den vierten Sockel in der Westecke des Platzes im Herzen Londons. Dort dürfen sie eine Stunde lang tun, was ihnen in den Sinn kommt. Schon am Eröffnungstag des Projekts kamen ungebetene Gäste.

Bevor Rachel Wardell, eine Hausfrau aus Nordostengland, zum ersten offiziellen lebenden Denkmal werden durfte, stürmte ein Aktivist den fast sieben Meter hohen Sockel und hielt ein Anti-Raucher-Plakat hoch. "Ich denke, Protest ist nicht das Einzige, wofür man den Sockel verwenden kann", sagte Gormley, der mit dem Kunstwerk vor allem die Einzigartigkeit jedes Individuums zeigen will. "Ich freue mich auf die ruhigen Momente, die Reflexion. Ich hoffe, dass es eine Feier dessen ist, was eine liberale Demokratie ist und sein kann."

Auch wenn die erste Darbietung nicht besonders atemberaubend war - Hausfrau Wardell stellte sich mit einem Riesenlolli auf den Pfeiler, bewegte sich kaum und machte für eine Kinderschutzorganisation Werbung - die Zuschauer fanden es toll.

100 Tage lang, bis zum 14. Oktober, wechseln sich die Freiwilligen ab. Jede Stunde, Tag und Nacht. Schon am ersten Tag wurden die Teilnehmer mit einem heftigen Regenguss abgekühlt. Über 15000 Briten hatten sich beworben - ein Computer wählte sie per Zufallsprinzip aus. Insgesamt sollen 2400 Menschen auf einem Sockel stehen, der eigentlich für eine königliche Reiterstatue vorgesehen war. Doch als die "Fourth Plinth" im Jahr 1841 erbaut wurde, ging das Geld aus - der Pfeiler blieb leer.

Antony Gormleys Lebend-skulptur "One and Other" verspricht schon jetzt, die Exzentrik der Durchschnittsbriten in allen Facetten zu zeigen. So wird der Pfeiler unter anderem Bühne für einen Architekten, der auf einem Fahrrad sein pinkfarbenes Kostüm zum Leuchten bringen will, oder für einen Studenten, der in einem an Fäkalien erinnernden Anzug auf seine Stunde Ruhm hofft.

Letztlich liegt gerade darin die Faszination der Aktion: an der Vielfältigkeit der Darbietungen. Und von oben sieht das Ganze anscheinend gut aus: "Oben ist es echt friedlich. Es ist toll, alles aus einer anderen Perspektive zu sehen", sagte Wardell. Trotz Londoner Schmuddelwetters habe sie sich "wie zu Hause" gefühlt.