Walter Scheel: Er hat sich in die Herzen gesungen
Ex-Bundespräsident Walter Scheel war auch wegen seiner Sangeskünste populär. Mittwoch wird er 90 Jahre alt.
Bad Krozingen. Walter Scheel war in den 1960er und 1970er Jahren einer der populärsten deutschen Politiker. Mit Willy Brandt (SPD) ebnete er als FDP-Chef den Weg für die sozial-liberale Bundesregierung, wurde Außenminister und Vizekanzler, war maßgeblich an den Verhandlungen über die Ostverträge beteiligt. Und schließlich wurde er Staatsoberhaupt. Von 1974 bis 1979 war er Bundespräsident. Am Mittwoch wird Scheel 90 Jahre alt.
"Mir geht es für jemanden, der seinen 90. Geburtstag feiert, den Umständen entsprechend gut", sagt der Alt-Bundespräsident in seinem Büro in Bad Krozingen. Anfang des Jahres ist Scheel von Berlin in die badische Kleinstadt 15 Kilometer südlich von Freiburg gezogen. In der Hauptstadt war es ihm zu hektisch geworden. Er lebt zurückgezogen, laboriert an den Folgen einer lebensgefährlichen Blutvergiftung, kämpft gegen die altersbedingte Schwäche. Seinen Geburtstag will er aber trotzdem am 8. Juli mit einem Bürgerfest feiern.
Mit der Region um Freiburg fühlt sich Scheel seit Jahrzehnten verbunden. Seit er 1988 seine dritte Frau Barbara geheiratet hat, feierte das Paar stets seinen Hochzeitstag hier. "Und 1968 bin ich auf dem FDP-Bundesparteitag in Freiburg zum Parteivorsitzenden gewählt worden."
An den Wänden in Scheels Büros, direkt neben dem örtlichen Rathaus, hängt Geschichte. Karikaturen aus der Zeit, als er in der Tagespolitik mitmischte. Daneben historische Wahlplakate der FDP, Fotos und Dokumente. Hinzu kommen eine große Goldene und eine Platin-Schallplatte. Denn Scheel tat sich auch als Sänger hervor. Das von ihm 1973 intonierte Volkslied "Hoch auf dem gelben Wagen" wurde zum Hit. Scheel bekam Gold für 300 000 verkaufte Platten und Platin für eine Million Einspielungen. Der Erlös kam sozialen Zwecken zugute. "Gott sei Dank haben wir damals eine schöne Melodie gewählt, die ich auch nach 35 Jahren immer noch ausgesprochen gerne höre", sagt Scheel.
Der Liberale mit dem markanten von Silberlöckchen umrahmten Kopf gab dem Amt rhetorischen Glanz, betonte gleichzeitig die Nähe zum Volk. Und er zeigte deutlich Repräsentationslust - auch das mochten die Leute.
In seinem Amtssitz, der Villa Hammerschmidt in Bonn, fühlte er sich "wohl und heimisch". Seine politische Karriere bezeichnet er heute als "eine Mischung aus glücklicher Fügung und großem persönlichen Einsatz". Auf eine zweite Amtszeit als Bundespräsident verzichtete er, weil sich CDU und CSU im Frühjahr 1979 auf Karl Carstens als Kandidaten einigten und dieser damit als Scheels Nachfolger feststand.
Scheel gilt bis heute als Freund des kultiviert-guten Lebens. Und sein Kommentar zur aktuellen politischen Lage? Scheel hat nichts an der Polit-Rhetorik verlernt: "Seit ich Bundespräsident außer Dienst bin, ist es meine Pflicht, mich nicht mehr in die aktuelle Tagespolitik einzumischen. Aber natürlich verfolge ich die heutige Politik, bin interessiert, beobachte Entwicklungen. Und ich stehe jüngeren Kollegen beratend zu Seite."