Die Nachbarn halten Wache

Günter B. war in seiner näheren Umgebung bereits als Pädophiler bekannt. Er selbst gab sich als „Kinderschützer“ aus.

Viersen. Die Angst geht um im Viersener Stadtteil Süchteln. An der Friedrich-Ebert-Straße schieben die Nachbarn inzwischen abwechselnd Wache, wenn die Kinder draußen spielen. Denn hierher ist am Mittwochabend Günter B. zurückgekehrt - nach neun Monaten Untersuchungshaft. Weil die Staatsanwaltschaft die Anklage gegen den vorbestraften Pädophilen nicht schnell genug fertig gestellt hatte, musste er freigelassen werden - dorthin zurück, wo auch einige seiner Opfer wohnen.

Im vergangenen August hatten sich Inge G. (51) und eine weitere Mutter ein Herz gefasst und der Polizei berichtet, dass sie annehmen, B. habe ihre Kinder missbraucht. Da ermittelten die Beamten aber schon gegen den Mann - nur beweisen konnten sie nichts. "Aber alle hier wussten, dass der pädophil ist", berichtet Hausmeisterin Karin Ropertz (65).

Vor vier Jahren war B. als alleinerziehender Vater mit seinen Söhnen (heute 20 und 22 Jahre alt) in die gepflegte Hochhaussiedlung gezogen. Als die Söhne davon hörten, dass ihr Vater freigelassen wird, packten sie schnell ihre Computer und ein paar andere Sachen ein und flüchteten mit ihrer Mutter, B.s Ex-Frau.

Die Mutter von Opfer Jacqueline (12, Name geändert), die mit der missbrauchten Tochter und deren älterer Schwester noch dort wohnt, wurde von der Polizei vorgewarnt, dass B. auf freien Fuß kommt. Auch die Hausmeisterin erhielt einen Anruf. Sie hatte B. schon vor fast zwei Jahren angezeigt. Damals hatte er sich von einem Nachbarn einen Computer geliehen und diesen nicht zurückgebracht. "Die Beamten fanden auf dem Rechner Bilder von halbnackten Kindern", erzählt Karin Ropertz.

Am Schlüsselbund trug B. immer das Bild eines kleinen Mädchens bei sich - aus der Zeit, als er noch an der Dülkener Straße gewohnt hat. "Ich habe ihn gefragt, ob das auch seine Tochter sei", berichtet die Hausmeisterin. "Er hat gesagt: Nein, aber die habe ich auch sehr lieb."

Wer den gebürtigen Viersener neu kennenlernte, der sei beeindruckt gewesen von seiner Hilfsbereitschaft und Wortgewandtheit, meint Karin Ropertz. "Er hatte sogar eine Visitenkarte, die ihn als Pädophilen-Jäger auswies. Sogar beim Kinderschutzbund hat er sich eingeschlichen." Das kann sie nicht verstehen. "Wenn wir das schon alle hier merken, dann müssten die das doch erst recht feststellen."

Auch den vierjährigen Enkel von Franz Bernards hat Günter B. angesprochen. ",Wenn deine Mama böse ist, dann kommst du mal zu mir’, hat er meinem Enkel gesagt." Bernards hat ihm deshalb gedroht, daraufhin habe sich B. dem Jungen nicht mehr genähert. Doch Bernards hat Angst - um andere Kinder: "Das nächst Opfer killt der, aus Angst, dass es wieder rauskommt."

Inge G. (51) ist aufgelöst, mit den Nerven fertig: Ihre Tochter Jacqueline war eines der Opfer von Günter B. "Ich kann nicht verstehen, dass sie den Kerl wieder freigelassen haben", sagt sie. Ihre beiden älteren Kinder leben auch in der Nähe, unterstützen sie. Aber so, wie es eine andere Mutter gemacht hat, die mit ihren missbrauchten Kindern ins Sauerland gezogen ist, will sie es nicht halten. "Ich lebe seit 30 Jahren hier, das ist mein Zuhause, ich gehe hier nicht weg."

Andere Mütter fürchten nun auch um ihre Kinder. "Ich lasse die beiden nicht mehr allein raus", sagt Tanja Fischer (28) aus dem Nachbarhaus. "Wenn einer an meine Kinder geht, der kann was erleben", sagt sie mit Blick auf Alina (5) und Brandon (6). "Wenn einer Steuern hinterzieht oder eine Bank überfällt, dann kriegt der mehr Haft als so einer."

Günter B. ist unterdessen von der Bildfläche verschwunden. Noch am Donnerstagabend wurde er von zwei Männern im Auto abgeholt, wie die Hausmeisterin beobachtet hat, die bis zwei Uhr nachts Wache geschoben hatte. Nun rätseln sie und ihre Nachbarn darüber, ob das Polizisten waren, die Günter B. aus der "Schusslinie" nehmen sollten, oder ob er doch Freunde oder Verwandte hat, die sich um ihn kümmern. "Seine Schwester wohnt da hinten in dem Hochhaus", sagt Karin Ropertz und deutet in Richtung Höhenstraße.

Seine beiden Brüder können es jedenfalls nicht gewesen sein: Beide sitzen bereits seit längerem in einem psychiatrischen Justiz-Krankenhaus - wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern.