Über die Musik in die Champions League der Sprache

Ein Spektakel in Ratingen mit einem renommierten Organisten, zwei Musikgruppen und Hauptschülern aus Krefeld.

Ratingen. Man nehme einen international renommierten Organisten, zwei Musikgruppen, die auf mittelalterliche Stücke spezialisiert sind, und Hauptschülerinnen, die sich mit großer Leidenschaft dem Theaterspiel verschrieben haben. Zusammen ergibt das ein ungewöhnliches Experiment: Kunst trifft Hauptschule.

Experimentieren gehört quasi zum Handwerkszeug von Organist Ansgar Wallenhorst, der bereits als Improvisator in Paris und Haarlem Wettbewerbserfolge feierte und Konzerte gibt in Europa, Amerika, Asien und Australien. Der Ratinger Kantor an St. Peter und Paul will die Orgel aus der "Nische der Nischen" herausholen, und dafür ist ihm (fast) jedes musikalische Mittel recht.

Er bringt Rapper mit Discjockey und Orgel zusammen ("Das sind irre Sounds"). Er tüftelt mit zwei Studenten an einer technischen Weiterentwicklung der Orgel, um computergesteuert "mit einem Keyboard in Paris die Orgel hier in der Kirche anspielen zu können". Und er verspricht sich jetzt eine "ganz neue Erfahrung", wenn Schüler Texte vom Jakobsweg lesen, unterlegt mit Musik von mittelalterlichen Instrumenten und Orgel.

Für dieses Experiment hat sich Wallenhorst das 2.Ratinger Dumeklemmer Spektakel am Wochenende ausgesucht. Und er hat mit Michael Cornély einen Mitstreiter gefunden, der gleich in dreifacher Hinsicht beteiligt ist:

Er ist Lehrer an der katholischen Stephanusschule in Krefeld, deren Schüler aus der Theatergruppe die Texte lesen. Er ist Mitglied in der Kölner Formation "A la Via", die gemeinsam mit der Gruppe "Annwn" für das mittelalterliche Ambiente des Konzertes sorgen wird. Und er organisiert den Markt zum Dumeklemmer Spektakel.

"So etwas gab es seit 400 Jahren nicht mehr in der Kirche", schwärmt Cornély. Er will die Aufführung in Ratingen als einen von vielen kleinen Schritten nutzen, um die Hauptschule aus ihrem bildungspolitischen Nischendasein herauszuholen. In der "Restschule" schlummere großes Potenzial, sagt er. Das weiß auch Wallenhorst. "Wir haben in den Konzerten ein relativ junges Publikum. Ich finde es wichtig, Jugendliche einzubinden", betont der Organist.

Wenn er das irgendwo erzähle, reagiere sein Umfeld stets überrascht. "Die Orgel hat immer noch einen antiquierten Beigeschmack." Natürlich gebe es Berührungsängste, die bei Hauptschülern noch mehr ausgeprägt seien als bei anderen Jugendlichen. Um das zu ändern, sei eine solche Veranstaltung perfekt.

Wallenhorst ist Perfektionist. So wird die Probe in St. Peter und Paul zu einer schweißtreibenden Angelegenheit. "Wir müssen an der Abstimmung arbeiten", meint der Kantor und blättert kritisch in seinen Noten, als er die Orgel anstimmt und "A la Via" die Melodie aufnehmen. Einmal ist der Dudelsack zu dominant, die Nyckelharpa zu leise, müssen Rauschpfeifen und Pauken an der richtigen Stelle eingebaut werden. Nach zwei Stunden ist der Profi Wallenhorst zufrieden. Auch mit den Textpassagen der Schüler.

"Das Mittelalter ist an den Hauptschulen in NRW kein großes Thema", sagt Cornély. Für die Schüler sei das Spektakel deshalb der erste Kontakt zu frühklassischer Musik und zum Jakobsweg, dem einst wichtigsten Pilgerweg. Auf der Route gebe es viele Legenden und Begebenheiten, die ihre Bedeutung für die Christenheit zeigen würden.

Im Vorfeld stöberten die Schüler in alten Erzählungen, suchten Passagen heraus, die zu den Musikstücken passen. "Das sind schwierige Texte, die sich nicht mit der heutigen Jugendsprache vergleichen lassen", sagt der Lehrer. Durch die Beschäftigung damit spielten die Jugendlichen "sprachlich plötzlich in einer Art Champions League".

Zudem ermögliche der Kontakt mit einem international bekannten Musiker wie Wallenhorst "den Blick über den Tellerrand hinaus". So ist es das Hauptanliegen der Initiatoren, zu zeigen, dass "Hauptschüler nicht so eingeschränkt sind, wie alle sagen". Und vielleicht, so die Hoffnung, lassen sich im kommenden Jahr weitere Hauptschulen gewinnen.