Mit dem Marihuana-Express zur holländischen Grenze
Drogen: Die deutschen Konsumenten bringen den Niederländern Einnahmen – und machen den deutschen Strafverfolgern viel Arbeit.
Amsterdam. Tuscheln und Kichern. Aufgeregte Erwartung auf vielen Gesichtern. Manche blicken ein wenig ängstlich. Doch überwiegend ist an diesem Abend die Stimmung der jungen Leute im Regionalzug Richtung Venlo ausgelassen. Kurz vor der niederländischen Grenze ahmt ein Spaßvogel eine Lautsprecherdurchsage nach: "Verehrte Fahrgäste, willkommen im Marihuana-Express." Eine Lachsalve geht durch den Wagen. Der Schaffner zuckt mit den Schultern. "Die sind harmlos", sagt er. "Auf der Hinfahrt machen sie nie Probleme. Nur auf dem Rückweg rastet schon mal ein Junkie aus."
Deutsche Drogentouristen sind täglich in den Niederlanden unterwegs. In Bahnen, Bussen, Autos, zu Tausenden. Deutsch ist eine der am meisten gesprochenen Sprachen in den Coffeeshops, den niederländischen Haschisch-Kneipen.
Den Cannabis-Verkäufern im Nachbarland bescheren deutsche Kiffer Millionenumsätze, und der Fiskus des Königreiches verdient daran mit. Dem deutschen Steuerzahler hingegen verursachen die reisenden Kiffer erhebliche Kosten. Bei der Rückkehr binden sie Einsatzgruppen der Zollfahndung, auch wenn sie gar keine Rauschmittel mitbringen. Immer mehr deutsche Staatsanwälte pochen auf "Nulltoleranz". Manche Drogentouristen ahnen oft nicht, dass sie bereits ins Visier der Strafverfolger gelangen, wenn sie in einem holländischen Coffeeshop einen Joint rauchen oder auch nur einen gekauft haben.
"Wenn es einen Anfangsverdacht auf Drogenmissbrauch gibt, müssen unsere Leute wegen des gesetzlichen Strafverfolgungszwangs Anzeige gegen rückkehrende Coffeeshop-Besucher erstatten", berichtet Ulrich Schulze vom Zollfahndungsamt Essen. Dafür kommt zwar niemand vor den Richter, aber immerhin für eine Weile als potenzieller Drogenstraftäter in die Datenbanken der Strafverfolger. "Pro Jahr werden allein in diesem Abschnitt immerhin etwa 1600Anzeigen erstattet", sagt Alwin Bogan vom Hauptzollamt Krefeld bei einem Ortstermin am Grenzbahnhof Kaldenkirchen.
Der etwas verlottert wirkende Bahnhof ist Startpunkt für einen der vielen "Drogenpfade" im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Stündlich hält hier der "Marihuana-Express" mit Reisenden aus Nordrhein-Westfalen. "Viele Jugendliche steigen aus, aber nicht bloß, weil ihre Monatskarte für den Regionalverkehr nur bis zur Grenze gilt", sagt Bogan. "Von hier aus ist es viel näher zu den Coffeeshops als vom Bahnhof Venlo aus."
Gleich hinter dem Bahnsteig beginnt der ungesicherte Trampelpfad entlang der Gleise. "Der ist an vielen Stellen brandgefährlich, besonders wenn die drüben ihre Joints geraucht haben", sagt Schulze. Bis vor ein paar Jahren lagen die Coffeeshops noch im weiter entfernten Zentrum von Venlo. In Heerscharen zogen Kiffer durch die Stadt, warfen Joints und Bierbüchsen auf die Straßen, urinierten in die Ecken. Die Beschaffungskriminalität blühte. Um die Plage loszuwerden, zog Venlo ab 2001 ein Projekt durch, das so oder ähnlich auch andere Gemeinden in den Grenzregionen umgesetzt haben: Haschisch-Kneipen in den Ortszentren mussten schließen. Neue Lizenzen gab es nur für Außenbezirke.
Die liegen immer an jenem Rand der Orte, der von der Grenze aus am schnellsten zu erreichen ist. Während Venlos Zentrum heute wieder so rein wie ein holländisches Bilderbuch-Städtchen ist, endet der Strom der Drogentouristen in den beiden zusammengehörigen Coffeeshops "Oase" und "Roots" gleich hinter der deutschen Grenze - praktisch für die deutschen Drogentouristen.
Nicht allein deshalb werde Hollands Drogenproblem von immer mehr Politikern als "größte Aushöhlung unseres Rechtsstaates in Friedenszeiten" gesehen, wie das Magazin "Elsevier" schrieb. Nach der jüngsten Schätzung der Rates der niederländischen Polizeichefs vom Dezember 2008 nehmen illegale Züchter pro Jahr mit Cannabis insgesamt 2,2 Milliarden Euro ein - fast die Hälfte dessen, was die Niederlande mit ihrem gesamten Blumenexport verdienen. Dabei werden nur etwa zehn Prozent des in Holland erzeugten Cannabis in den rund 750 Coffeeshops verkauft. Der enorme "Rest" wird ins Ausland, vor allem ins europäische, geschmuggelt.
Selbst wo man nur kleine Kiffer vermuten mag, wie im "Marihuana-Express", entdecken Fahnder schon mal ganze Rucksäcke voller "Stoff". Doch die größten Mengen gelangen immer noch in Autos nach Deutschland. "2008 war ein Lastwagen, den ein Deutschtürke fuhr, unser größter Fang", berichtet einer der mobilen Fahnder in Kaldenkirchen. "Der hatte hinter Gemüsekisten eine Palette mit 500 Kilogramm Cannabis versteckt."