Pistorius sagt unter Tränen in Mordprozess aus
Pretoria (dpa) - Mit Spannung wurde seine Aussage erwartet, jetzt hat Oscar Pistorius vor Gericht das Wort ergriffen. Mit brüchiger, zitternder Stimme entschuldigt er sich bei der Familie seiner erschossenen Freundin - und gibt Einblicke in sein Leben in Südafrika.
Aufgewühlt und weinend hat sich der Sportler Oscar Pistorius erstmals in seinem Mordprozess zu den Vorwürfen geäußert. Seine tödlichen Schüsse auf seine Freundin beschrieb er am Montag im Zeugenstand als „Tragödie“. Zu Beginn seiner Aussage im südafrikanischen Pretoria bat der 27-Jährige um Entschuldigung bei Familie und Freunden der getöteten Reeva Steenkamp. „Jeden Morgen wache ich auf und bete als erstes für sie“, sagte der Paralympics-Star mit oft brüchiger, zitternder Stimme. Er wisse um den Schmerz, die Trauer und Leere, die er in der Familie Steenkamp ausgelöst habe.
Er habe „schreckliche Alpträume“ und nehme seit einem Jahr Medikamente wie Antidepressiva. „Es hat nicht einen Moment seit dieser Tragödie gegeben, in dem ich nicht an die Familie gedacht habe“, sagte der Angeklagte, der bei einer Verurteilung mit einer lebenslangen Strafe rechnen muss. Er habe mit seinen Schüssen am 14. Februar 2013 nur seine Freundin verteidigen wollen. „Ich kann versprechen, dass sie in jener Nacht mit dem Gefühl ins Bett gegangen ist, geliebt zu werden.“
Der Südafrikaner will das Gericht davon überzeugen, dass er in der Nacht zum Valentinstag Reeva Steenkamp aus Versehen erschossen habe - er habe einen Einbrecher hinter der verschlossenen Toilettentür seines Hauses vermutet. Bei der mehr als dreistündigen Befragung durch seinen Anwalt, Barry Roux, schilderte Pistorius seine Kindheit und seinen beschwerlichen Weg als Behinderter zum Spitzensportler.
Besonders intensiv ging er auf seine Erfahrungen mit der Kriminalität und Gewalt in Südafrika ein: „Ich denke, jedermann in Südafrika wird irgendwann mit Verbrechen konfrontiert.“ Sein Vater sei zweimal entführt worden, sein Bruder sei einem Entführungsversuch entkommen, berichtete Pistorius. Er selbst sei mehrfach im Auto verfolgt, auf einer Party tätlich angegriffen worden. Seine Familie und er selbst seien mehrfach Opfer von Einbrüchen gewesen.
Die Verteidigung hat den Angeklagten als ihren zweiten Zeugen in den Zeugenstand gerufen, um seine Glaubwürdigkeit zu stärken. In den vergangenen 16 Verhandlungstagen hatten mehrere Zeugen seine Schilderungen über die Tatnacht infrage gestellt. Mehrere Nachbarn wollen angstvolle Frauenschreie vor den Schüssen gehört haben. Verteidiger Roux argumentiert, Pistorius habe selbst geschrien, als er bemerkte, Steenkamp versehentlich erschossen zu haben.
Die Staatsanwaltschaft hofft, im Kreuzverhör von Pistorius Widersprüche in der bisherigen Darstellung der Vorgänge zeigen zu können. Experten gehen davon aus, dass sich die Zeugenaussage des 27-Jährigen über Tage hinziehen wird. Pistorius ist der insgesamt 23. Zeuge in dem spektakulären Mordprozess, der weitgehend vom südafrikanischen Fernsehen übertragen wird. Roux kündigte an, er werde zwischen 17 und 27 Personen in den Zeugenstand rufen. Das Gericht setzte am Montag den Prozess nach einer einwöchigen Pause fort, die wegen Erkrankung eines Gerichtsassessors notwendig geworden war.
Der Forensiker Jan Botha sprach am Montagmorgen als Zeuge über die Frage, wann Pistorius' Freundin zum letzten Mal gegessen hatte. Die Verteidigung bezweifelt Aussagen von Polizei-Forensikern, denen zufolge Steenkamp zwei Stunden vor den tödlichen Schüssen gegen 3 Uhr nachts noch gegessen habe. Pistorius hatte berichtet, er und seine Freundin seien gegen 22 Uhr zu Bett gegangen. Botha verwies auf die wissenschaftlichen Unsicherheiten bei der pathologischen Beurteilung der genauen Zeit.
Nach Erfolgen bei den Paralympics war Pistorius als erster beinamputierter Sportler der Olympia-Geschichte bei den Spielen in London im Jahr 2012 gestartet.