Porträt: Elke Streicher - Die 4500-Kilometer-Läuferin
Elke Streicher rennt und rennt und rennt. Gerade ist die Bau-Ingenieurin von Bari bis zum Nordkap gelaufen.
Stuttgart. "Wenn ich meine rosafarbene Sonnenbrille aufsetze, sieht alles viel schöner aus", sagt Elke Streicher. Dabei stellt sich die 42-Jährige durchaus der harten Realität - etwa als Ultraläuferin beim Transeurope-Footrace. 4485,6 Kilometer in 64 Tagen vom italienischen Bari bis zum Nordkap in Norwegen ist Streicher gelaufen.
Jeden Tag um vier Uhr morgens aufstehen, um im Durchschnitt acht Stunden ununterbrochen zu laufen.
"Manchmal hat mich mein Partner Marcel auf der Strecke begleitet", berichtet die blonde Frau aus Gerlingen bei Stuttgart. "Oft war ich aber mit meiner Trinkflasche allein."
Weil es nur alle zehn Kilometer eine Streckenverpflegung gab, trug sie ihre Flasche Wasser die ganze Zeit in der Hand - daher war Muskelkater ihr steter Begleiter.
"Die Chancen, dass ich das Nordkap erreiche, lagen für mich bei 50 zu 50", sagt sie. Es müssen ja nicht einmal Probleme mit der Kondition auftreten.
Durch die extreme Belastung wird das Immunsystem geschwächt. "Da kann man mit vielem zu tun bekommen: Schnupfen, Bronchitis, schlechte Wundheilung, Wassereinlagerungen, Entzündungen."
Irgendwann schwächelt auch die Motivation: "Zwischendurch fragt man sich schon, ob es nicht eine absolute Zeitverschwendung ist, 64 Tage langsam vor sich hin zu eiern und auf eine Straße zu starren." Die Schluss-Etappen waren die schwierigsten. Kälte, Regen und Sturmböen machten den Läufern das Fortkommen schwer.
"Mein Hände waren zu Eis gefroren. Ich war nicht in der Lage, die Schuhe aufzumachen, um Steine herauszuschütteln," sagt Elke Streicher. Trotz alledem ist sie Zweite bei den Frauen und 21. im Gesamtklassement geworden - und wollte im Ziel am liebsten ein alkoholfreies Bier und eine Brezel.
"Mir geht’s super", sagte sie danach. "Ich habe keine Beschwerden in den Beinen, nicht mal an Gewicht verloren." Allerdings hat sie sich auch drei Jahre auf diesen Extremlauf vorbereitet, ist täglich gelaufen, hat samstags 90Kilometer abgespult.
Ihr Berufsleben hat Elke Streicher dagegen nicht im Laufschritt durchmessen. Als einzige Tochter eines Geschäftsführers wuchs die Wahl-Schwäbin im Allgäu auf, schmiss mit 16 die Schule und machte eine Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin.
Nach fünf Jahren wurde ihr das zu langweilig. Sie machte das Abitur nach und beschloss mit 27 Jahren, an der Uni Stuttgart Bauingenieurwesen zu studieren. "Mein damaliger Freund studierte Maschinenbau", erinnert sich Streicher, "wir träumten von einem gemeinsamen Büro."
Daraus ist nichts geworden. Stattdessen untersucht Streicher als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Thermodynamik und Wärmetechnik im Rahmen eines EU-Projektes, wie Solarenergie in alte Gebäude integriert werden kann.
Beim Laufen finde sie Freiheit, sagt sie. Und die will sie durch nichts einschränken: "Ich hasse Trainingspläne." Deshalb läuft sie ohne Pulsmesser und Zeitvorgabe ausschließlich im "Wohlfühlbereich".
Erst vor acht Jahren, mit 34, ist sie zum Laufen gekommen - und damit ja schon weit gekommen. "Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, ziehe ich es gnadenlos durch", sagt Streicher. Fürs nächste Jahr hat sie sich den Zehn-Tages-Lauf in New York vorgenommen. Doch vorher möchte sie ein anderes Langzeitprojekt beenden: Im Dezember gibt sie ihre Doktorarbeit ab.