Justiz entlässt mutmaßlichen Sexualtäter aus U-Haft

Mutige Mütter hatten den mutmaßlichen Täter angezeigt. Nach seiner Freilassung werden ihre Kinder von der Polizei geschützt.

Viersen. Ende August 2008 erscheinen zwei Mütter mit ihren fünf, elf und zwölf Jahre alten Töchtern bei der Viersener Kripo. Sie zeigen einen 58-jährigen Nachbarn aus dem Stadtteil Süchteln an: "Er hat unsere Kinder monatelang sexuell missbraucht." Dann kann die Polizei zuschlagen, das Martyrium der Kinder ist vorbei.

Doch seit Donnerstag geht in Süchteln wieder die Angst vor der "Sex-Bestie" ("Express") um: Der Mann, dem im August der Prozess gemacht werden soll, ist wieder auf freiem Fuß. Das Düsseldorfer Oberlandesgericht hat den mutmaßlichen Sexualverbrecher aus der Untersuchungshaft entlassen, weil die Staatsanwaltschaft zu langsam gearbeitet haben soll.

Die Viersener Polizei hat am Donnerstag sofort nach Bekanntwerden der geplanten Entlassung des 58-Jährigen "alle notwendigen Maßnahmen zum Schutze der bekannten Opfer sowie seines sozialen Umfelds ergriffen", so Kriminalhauptkommissar Wolfgang Wiese. "Wir werden den Opfern, wo es nur möglich ist, helfen und sie unterstützen." Die Kinder und ihre Familien seien auf die Freilassung und auf eine mögliche Konfrontation mit dem Mann vorbereitet. Wiese: "Das weitere soziale Umfeld ist informiert und besonders sensibilisiert."

Schon mehrere Monate vor der Festnahme war gegen den Mann ermittelt worden. Er soll ein sechsjähriges Mädchen missbraucht und Kinderpornos besessen haben. "Doch Tatvorwürfe und Beweismittel hatten bis dahin nicht ausgereicht", so Polizeisprecherin Antje Heymanns, "um den Mann festzunehmen." Durch die Aussagen der beiden Mütter und der Opfer kommt der Süchtelner dann Anfang September 2008 "wegen Wiederholungsgefahr" in U-Haft, aus der er jetzt entlassen wurde.

Der Beschuldigte war nicht zum ersten Mal auffällig geworden. Zwischen 1972 und 1979 hatte die Polizei mit ihm immer wieder wegen seiner sexuellen Kontakte zu Kindern zu tun gehabt. Der Mann war deshalb auch einschlägig vorbestraft. Auf die neuen Fälle wurden sechs Polizisten angesetzt, sie durchsuchten auch die Wohnung des mutmaßlichen Wiederholungstäters. Dort wurden Fotos und Daten sichergestellt, damit konnten weitere Opfer identifiziert werden.

Am Ende übergaben die Kripobeamten der Staatsanwaltschaft eine mehrere hundert Seiten umfassende Ermittlungsakte. Danach soll der 58-Jährige mindestens fünf Mädchen im Alter zwischen fünf und zwölf Jahren sexuell missbraucht haben. Außerdem soll er kinderpornografische Bilder besessen und mit seinen Opfern produziert zu haben.

In Süchteln galt der Mann als besonders "kinderlieb". Er stellte sich selber häufig als "Beschützer" und "Helfer" der Kinder dar und schaffte es so, das Vertrauen der Kinder und teilweise auch der Eltern zu erschleichen.

Die Opfer stammten aus dem sozialen Umfeld des Mannes, er setzte sie unter psychischen Druck, damit sie schweigen. Heymanns: "Die Mädchen waren wegen dieses offensichtlich gezielt aufgebauten Vertrauensverhältnisses noch weniger in der Lage, sich aus dieser Missbrauchslage zu lösen und sich anderen Erwachsenen anzuvertrauen." Konkrete Anhaltspunkte hatten die Mütter, die schließlich zur Kripo gingen, nicht - sie vertrauten ihrem Gefühl, dass irgendetwas in der Beziehung zwischen dem erwachsenen Mann und der vielen Mädchen um ihn herum nicht stimmen könnte.