Russen in Duisburg gestrandet
Reederei hat ihre Mannschaft im Stich gelassen. Bürgerverein hilft den Matrosen.
Duisburg. Sergej Schtscherbakow ist schon durch viele Stürme gefahren, doch jetzt muss er Nerven bewahren. Der Kapitän des Küstenmotorschiffs "Mike" steckt sich eine Zigarette an. Seit Mitte Juli sitzt er mit seiner Crew am Hafen in Duisburg fest.
Die Reederei und der für die Mannschaft verantwortliche Charterer haben ihn übel im Stich gelassen. "Nach unserer Ankunft in Duisburg haben wir niemanden mehr erreicht und wurden komplett ignoriert. Wir haben gewartet - und die Welt nicht mehr verstanden", sagt der 52-jährige Kapitän. Mit blauen Badelatschen, Polohemd und Weste schlurft er hilflos über das Deck.
Am 16. Juli hatten die sechs Seeleute aus Russland und Litauen in Duisburg festgemacht und 1.315 Tonnen Stahl aus Kaliningrad abgeladen. Danach ging gar nichts mehr. "Der Charterer aus den Niederlanden ist inzwischen insolvent und vom Schiffseigner aus Zypern ist auch keine Hilfe gekommen", sagt Mario Adams, stellvertretender Leiter der Hafenbehörde.
Immer wieder rief die Behörde bei der Charterfirma "Adriana Shipping and Trading B.V." an - vergeblich. Die Crew bekam kein Geld, inzwischen stünden über 30.000 Euro aus, sagt Adams. "Wir hatten keine Zahnpasta, kein Waschpulver, kein Essen, nichts", erinnert sich der russische Kapitän an die schier endlose Wartezeit. Aus purer Verzweiflung hätten die Seeleute ihren Durst mit Wasser aus dem Rhein gelöscht.
Für die Besatzung war es auch eine Zeit ohne Telefon und Internet - und damit ohne Kontakt zu den Verwandten. Die Kinder der fünf Familienväter in der Heimat benötigten dringend Schulgeld. "Wird das Geld nicht bezahlt, muss man in Russland mit drastischen Strafen rechnen", sagt Adams.
Der Sicherheitschef des Duisburger Hafens hat ein großes Herz für die Seeleute, zumal er fünf Jahre selbst durch die Welt geschippert ist. Deshalb aktivierte er Ende August das Netzwerk des Ruhrorter Bürgervereins, dessen Vorsitzender er ist. Mit Lebensmitteln und Sprudelkästen leistete der Verein Erste Hilfe. "Wir haben Telefonkarten gekauft und Wassertanks aufgefüllt", sagt Adams.
Aus dem ersten Engagement des Bürgervereins sei eine Bewegung gewachsen, die Anlegestelle des Schiffs wurde zum "Pilgerplatz" von Hilfswilligen, sagt Adams. Die Menschen aus dem Duisburger Stadtteil Ruhrort versorgten die Seemänner mit Konserven, Säften, Waschpulver. "Dieses Engagement", sagt Adams, "hat mich tief berührt, obwohl wir doch angeblich in einer Ellbogengesellschaft leben sollen." Sachspenden benötigt die Besatzung jetzt nicht mehr, nur noch Geld für den Rückflug und für juristische Unterstützung.
Das Schiff soll jetzt in die Niederlande überführt werden, weil dort die rechtlichen Voraussetzungen besser seien, um das Motorschiff zu verkaufen. Die Zwangsversteigerung soll 30.000 Euro Seemanns-Lohn (Heuer) für Kapitän und Mannschaft bringen, sagt Adams. Daneben müsste das Geld auch für ein bisschen Nikotin reichen - für die strapazierten Nerven der Seeleute.